Tanz zum Rhythmus der Sprache

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Chris Haring lässt seine Company Liquid Loft zu einem babylonischen Sprachgewirr auftreten: "Das ist unser Statement zum derzeitigen politischen Geschehen."

Chris Haring ist ein Sammler. Er sammelt Sprachen, Wörter oder ganze Sätze, emotionale Aussagen von der Liebeserklärung bis zum Wutausbruch. Immer wieder hat er in der Vergangenheit Sprachaufnahmen von seinen Tänzerinnen und Tänzern gemacht, hat sie ihnen vorgespielt und sie so tun lassen, als ob sie ihren eigenen Text nachsprechen. „Normalerweise haben wir die Stimmen dann manipuliert und dramaturgisch eingesetzt“, sagt Haring: „Dabei sind wir draufgekommen, dass die gesprochene Sprache immer in direkter Verbindung zur Körpersprache einer Person steht. Wenn ich einen italienischen Tänzer aufnehme und dessen Worte einer schwedischen Tänzerin gebe, ergibt das eine komplett andere Figur auf der Bühne.“

In seinem neuen Stück, „Foreign Tongues“, sind Sprache und Stimmen aber mehr als ein Stilmittel: Der Akt des Sprechens, die Vielstimmigkeit, die verwirrende und weitgehend unverständliche Vielfalt stehen im Mittelpunkt. „Diesmal habe ich mich auf Minderheitensprachen spezialisiert und auf Sprachen, die sich nicht um Nationalgrenzen kümmern.“ Das galloromanische Okzitanisch ist dabei, Gälisch, Baskisch, Windisch und natürlich Romani, wie es in Harings Heimat, dem Burgenland, gesprochen wird. „Ich habe das den Roma in Bukarest vorgespielt, die haben nur gelacht, weil es eine ganz andere Sprache ist, als sie sprechen. Unsere Roma leben schon ewig in Oberwart.“ Wenn das Stück auf Tour geht, will Haring dortige Minderheitensprachen aufnehmen und einbauen. Dazu spricht er mit Laien, keinen Schauspielern. Er plaudert mit ihnen, lässt sie imaginäre Situationen darstellen, um die Musikalität ihrer Sprache hervorzuheben – etwa wenn man so tut, als würde man mit einem Baby sprechen, mit einer schönen Frau schäkern oder sich über die verspätete U-Bahn ärgern. „Mit einem Baby spricht der Katalane genauso wie der burgenländische Kroate – das ist ein bestimmter Singsang. Und wenn wir uns aufregen, dann wird die Stimme lauter, höher.“

„Tempi, Pausen, Stakkati“ – wie Musik

Verwendet hat er davon nur, was ihm musikalisch interessant vorkam. Die Tänzer und Tänzerinnen von Liquid Loft setzen sich in „Foreign Tongues“ körperlich mit dem, was da phonetisch auf sie eindringt, auseinander. „Als Choreograf kommt man schnell drauf, dass in einer Stimme viele musikalische Parameter stecken: das Temperament des Sprechenden, die Pausen, das Tempo, die Lautstärke, die Stakkati – das ist alles sehr unterschiedlich.“ Der Rhythmus des Stückes, das am Donnerstag im Tanzquartier uraufgeführt wird, ergibt sich aus den verschiedenen Charakteren, den unterschiedlichen Sprachmelodien, aus dem Zusammenfügen von ruhigeren und spritzigeren Sprachmustern. Verstehen wird man kaum, was da gesprochen wird – nicht einmal die Tänzer kennen die Worte. Das sei aber auch gar nicht wichtig, betont Haring: „Ich bin ein großer Verfechter der assoziativen Denkweise. Ich sitze auch sehr gern im Park und stelle mir vor, worüber die Menschen auf der Bank vis-à-vis gerade reden. Das bringt mich dieser Welt näher und diesen Menschen. Dazu muss ich sie nicht unbedingt verstehen.“ Das Stück spiele aber auch bewusst mit Missverständnissen, mit Widersprüchen und sprachlichen Ähnlichkeiten. „Wir haben versucht, die Kommunikation zwischen den Tänzern zurückzunehmen, abstrakt zu lassen, damit das Publikum Dinge hineininterpretieren kann – und vielleicht etwas ganz anderes sieht als ich.“

Und wozu? „Das ist unser Statement zum politischen Geschehen“, sagt Haring. „Ich setzte mich als zeitgenössischer Choreograf mit zeitgenössischen Themen auseinander, mit der ganzen Migrationsproblematik – ohne direkt auf das tagespolitische Geschehen Bezug zu nehmen.“ Statt mit dem Finger auf etwas oder jemanden zu zeigen, wolle er lieber „an der Oberfläche kratzen, um darunter tiefe Momente zu finden“.

„Foreign Tongues“: 16. (Uraufführung), 17. und 18. 2., jeweils 19.30 Uhr, TQW/Halle G

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2017)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.