Limit einer Erfolgsverwöhnten

Anna Veith und das Idyll im Engadin: die Salzburgerin will sich bei dieser WM auf ihre Technik verlassen.
Anna Veith und das Idyll im Engadin: die Salzburgerin will sich bei dieser WM auf ihre Technik verlassen.(c) APA/EXPA/JOHANN GRODER (EXPA/JOHANN GRODER)
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Anna Veith geht heute als Titelverteidigerin an den Start, Favoritinnen sind jedoch andere. Das Comeback der Salzburgerin nach ihrem Knie-Totalschaden gleicht einer Achterbahnfahrt, wie weit ist sie noch von der Weltspitze entfernt?

St. Moritz/Wien. Den Startplatz hat sie als Titelverteidigerin fix. Die Frage aber ist: Tritt Anna Veith nur deshalb im WM-Riesentorlauf an oder glaubt sie, auch etwas erreichen zu können? Ihre Trainer, ihre Gegnerinnen, wohl auch die Salzburgerin selbst wissen vor dem heutigen Auftakt der Technikrennen in St. Moritz keine wirkliche Antwort darauf. Veith stapelt jedenfalls tief. Für sie sei die eigene Leistung maßgebend, die Platzierung nur zweitrangig.

Auch ihr Comeback warf mehr Fragen auf als es Antworten lieferte. Acht Rennen hat sie seit Ende Dezember bestritten, zeigte mit Top-Zwischenzeiten auf, fuhr im Super G von Cortina sogar auf Platz drei. Der WM-Super-G aber war eine herbe Enttäuschung, Veith war auf Medaillenkurs, ehe ihr das verletzte rechte Knie zum Verhängnis wurde. In einer Kompression wurde der Druck zu groß, sie fiel aus. Im Riesentorlauf, ihrer Paradedisziplin, in der sie elf ihrer 14 Weltcupsiege gefeiert hat, verpasste sie seit ihrer Rückkehr zweimal das Finale, schied einmal aus, ein 25. Platz ist ihr einziges Resultat. Als Anna Fenninger hatte sie noch ihre letzten vier Riesentorläufe allesamt gewonnen (inklusive WM-Gold 2015).

Alles neu lernen

Bedingungslose Attacken wie vor der verletzungsbedingten Auszeit samt Hochzeit lässt das lädierte Knie noch nicht zu. Veith muss ihre Renntaktik anders anlegen, sie hat Schmerzen beim Aufstehen, braucht Extra-Fahrten, um „Betriebstemperatur“ zu erreichen. 2015 hatte sie sich bei ihrem Sturz in Sölden Patellasehnen-, Kreuzband- und Innenbandrisse zugezogen – am Höhepunkt ihrer Karriere, nach zwei Gesamtweltcupsiegen in Folge, als Weltmeisterin und Olympiasiegerin.

Nun fühle es sich an, als müsse das Knie alles neu lernen, erklärte Veith, auch volle Trainingsumfänge sind noch nicht möglich. Und nun warten die enormen Belastungen der kurzen Riesentorlauf-Radien, bei Geschwindigkeiten von rund 70 km/h. Veith wird zudem mit einer Startnummer jenseits der 20 ins Rennen gehen müssen. Die in St. Moritz bisher wechselhaften Pistenverhältnisse könnten ebenfalls eine Rolle spielen. Ist es pickelhart, wird der Druck auf das Knie größer, ist es weich, gilt es, Spuren und Schlägen standzuhalten.

„Ob ich in St. Moritz Favoritin bin oder nicht, ist ebenso egal, wie die Startnummer. Wichtig ist zu wissen, ob ich bereit bin, im Rennen auch was zu riskieren“, sagt die 27-Jährige. Auf ihre ausgezeichnete Technik kann sie sich verlassen, ohne Risiko aber ist ein Topresultat gegen Tessa Worley, Mikaela Shiffrin und Co. praktisch ausgeschlossen. Am Sonntag und Montag hat Veith in Lech und in St. Anton Riesentorlauf trainiert, dabei insgesamt 13 Läufe absolviert. „Vor allem der zweite Tag war sehr gut, ich habe versucht, an mein persönliches Limit zu gehen.“

Der Riesentorlauf wird ihr letzter Auftritt bei dieser WM sein. Für die Abfahrt war ihr das Risiko noch zu groß, sie verzichtete auf die ÖSV-interne Qualifikation, vor allem die Sprünge hätten das Knie zu sehr belastet (Stephanie Venier rückte nach und bedankte sich mit der Silbermedaille). Nicht ausgeschlossen, dass die einst erfolgsverwöhnte Veith heute nach dem Super-G eine weitere WM-Enttäuschung verarbeiten muss. Die Saison aber will sie auf jeden Fall beenden, dann ist Zeit für den Kraftaufbau, der bisher noch zu kurz gekommen ist. Und um sich möglicherweise ein neues Management suchen. Anfang 2017 hatte sich Veith – sie genießt nach wie vor Sonderstatus im ÖSV – auch von Klaus Kärchers Nachfolger Florian Krumrey getrennt.

„Sie weiß genau, wie es geht“

Riesentorlauf-Gold werden sich heute die Führende der Disziplinenwertung und dreifache Saisonsiegerin Tessa Worley, Mikaela Shiffrin und die Italienerinnen um Sofia Goggia ausmachen. Veith favorisiert Worley. „Sie ist diese Saison unglaublich stark und konstant und war schon Weltmeisterin. Sie weiß also genau, wie es geht.“ Aus dem ÖSV-Aufgebot hat Stephanie Brunner Außenseiterchancen, eine Medaille wäre aber zugleich die Podestpremiere der Tirolerin, die mit Platz vier in Sölden das beste heimische Riesentorlauf-Resultat des Winters hält. Auch Michaela Kirchgasser steht wieder am Start, sie traut Anna Veith einiges zu. „Sie ist nicht nur wegen ihrem fixen Startplatz hier. Sondern weil sie gefühlt hat, etwas schaffen zu können.“ [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2017)

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