Grätzltour: Mitten im urbanen Dorf

Studentenheime, Take-aways, Biedermeierhäuser. Am Strozzigrund in der Wiener Josefstadt fühlt sich das Designduo Mia Kim und Nikolas Heep zu Hause – und erzählt, warum.

„Mit dem Auto zu fahren, um den Alltag zu bewältigen, das ist für uns keine schöne Vorstellung.“ Fußläufig muss alles zu erreichen sein – und das ist mit ein Grund dafür, dass die Designer Mia Kim und Nikolas Heep mittlerweile seit zwölf Jahren am Strozzigrund (Grätzl rund um die Strozzigasse samt Abschnitten der Zeltgasse, Josefstädter und Lerchenfelder Straße) im achten Wiener Bezirk wohnen. Vor dem Pfeilheim – legendär für Studentenpartys und bekannt als Heimstatt unzähliger Generaldirektoren –, und neben dem Café Strozzi, allseits beliebter Treffpunkt der Grätzl- bewohner. „Das war es zumindest, so lang wir geraucht haben“, sagt Mia Kim und lacht. Seit zwei Jahren gehen die beiden gern ins „Es gibt Reis“ in der Piaristengasse. „Das laotische Beef Tatar hat zwar mit Beef Tatar nichts zu tun, ist aber köstlich“, verrät Heep.

Mut ohne Lücke

Das Lokal ist Sinnbild für die Hipster-Bewegung, die – etwas zeitverzögert – auch die Josefstadt erfasst. „Das schwappt seit drei, vier Jahren vom Siebten zu uns herüber“, erzählt Heep. Kleine Restaurants wie das Kommod (Strozzigasse 40) oder Take-aways wie das Kaffeemodul (Josefstädter Straße 35) füllen sukzessive leer stehende Gassenlokale. „Für meinen Geschmack könnte sich da noch viel mehr tun“, sagt Kim. In einem Marktviertel in Südkorea aufgewachsen, fehlt ihr in der Stadt Lebendigkeit und „ein neues Zeichen von Jetzt“. Nicht unbedingt in Form eines Neubaus –„den Schandfleck oder die Lücke, die gestaltet werden muss, gibt es nicht“ –, sondern als Innengestaltung neuer Räume: „Da kann man im Achten viel mutiger werden.“

„Wir leben hier in einem urbanen Dorf“, sagt Heep. In der Zeltgasse ging der Sohn in die Volksschule, in der Strozzigasse trainiert Kim Kung Fu, im Torberg trinkt das Paar Gin. „Das ist ein richtiges Absturzbeisl“, verrät Heep. „Da kann man schon einmal im Jahr hingehen“, ergänzt Kim. Faktisch ist alles in Wiens kleinstem Bezirk (1,08 Quadratkilometer) in Gehdistanz.

Gräflicher Grund

Die Geschichte des Strozzigrundes ist relativ jung – bis zur Zweiten Wiener Türkenbelagerung wuchs hier zwischen Alserbach und Ottakringerbach nichts als Wein und Wiese. Um 1700 zog es die Adeligen in die Vorstädte, wo sie anfingen, ihre Häuser und Palais zu bauen. Auch am Strozzigrund, dessen Name auf die gleichnamige Gräfin zurückgeht. Maria Katharina Strozzi ließ zwischen 1699 und 1702 das Palais Strozzi – heute Sitz des Instituts für Höhere Studien – errichten. Ab 1850 gehörte das Grätzl, gemeinsam mit der Josefstadt, Altlerchenfeld, Breitenfeld und einem kleinen Bereich von Sankt Ulrich zum Wiener Stadtgebiet, 1861 erlangte die Josefstadt Bezirksstatus. Heute leben rund 24.500 Menschen im Bezirk. „Es heißt immer, es gibt hier so wenig Grünraum und alles ist eng. Dabei braucht es oft wenig, um Freiraum zu schaffen“, sagt Heep. Er verweist auf kleine Öffnungen: den Maria-Treu-Platz vor der gleichnamigen Barockkirche, den sommers ein Gastgarten belebt und nachts sogar auch mal Gitarrenklänge. Der Schönbornpark beim Volkskundemuseum, in dem Jugendliche Basketball spielen und Hundebesitzer mit ihren Tieren äußerln gehen, oder der kleine Platz an der Ecke Tulpengasse/Wickenburggasse, wo ein Stock-im-Eisen und ein paar Bäume stehen. „Das war übrigens früher das Hurenviertel“, verrät Heep. Gaukler und leichte Mädchen belebten die unweit gelegene Lenaugasse, bevor die Bürgerlichkeit einzog. Die spiegelt sich nicht nur in den gut erhaltenen Biedermeier- und Gründerzeithäusern – der Bezirk blieb von den Bomben des Zweiten Weltkriegs weitgehend verschont –, sondern auch in der Gastronomie wider. „Das Blauensteiner ist ein originales Wiener Beisl, uralt und immer noch in bester Funktion“, nennt Heep ein Beispiel. Die Grießnockerlsuppe und das dunkle Bier, serviert vom schmerbäuchigen Kellner, munden.

Will man da überhaupt noch weg aus dem Grätzl? „Es gibt viele schöne Ecken in anderen Bezirken. Da gäbe es schon Optionen“, sagt Kim. „Aber eigentlich nur, wenn der Wohnraum loftiger wäre als unsere jetzige Altbauwohnung“, sagt Heep. „Rein, um an einen anderen Ort zu ziehen, würden wir hier nicht weggehen.“

Zum Ort, zur Person

Für Mietwohnungen (ohne Mietobergrenzen) bezahlt man in guter bis sehr guter Lage rund 10,3 bis 12,6 Euro/m2, für Büromieten mit gutem Nutzwert rund elf Euro/m2. Eine Eigentumswohnung im Erstbezug kostet in guter Wohnlage zwischen 3933,5 und 4532 Euro/m2, eine gebrauchte zwischen 2665,5 und 3343,5 Euro/m2. (Infos: Immobilienpreisspiegel 2016)

Mia Kim und Nikolas Heep sind das Design- und Architektenduo Kim+Heep. www.kimheep.com

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