Wie man Jungfrauen macht

Beklemmend: ein Iran-Roman über ein Land als Gefängnis.

Mein Sohn ist ein Regierungsmensch, er bringt ehrlich verdientes Geld ins Haus“, versichert Mustafas Mutter, als sie für ihren Sohn um die Hand der schönen Schahrsad anhält. Ein geregeltes Einkommen, noch dazu vom Staat, im Zuge der Brautwerbung kein unwesentlicher Aspekt.

Der Leser von Amir Hassan Cheheltans Roman „Teheran Revolutionsstraße“ weiß zu diesem Zeitpunkt schon mehr als die allein erziehende Brautmutter, er hat bereits Einblick in die Arbeit erhalten, die Mustafa sein „ehrlich verdientes Geld“ einbringt: „Kurz darauf eilten vier Männer in die Zelle und umringten das Mädchen. Mustafa trat ihr erbost zwischen die Beine. Dann bückte sich einer von ihnen zu ihr hinunter und fragte hämisch, ,hat's wehgetan?‘. Das Mädchen hob verneinend die Brauen. Das entsprach der Wahrheit, sie spürte ihren Körper nicht mehr. Der nächste Tritt folgte. Plötzlich legte das Mädchen die Hände auf den Magen und krümmte sich zusammen. Man schleifte sie bis zur Abortgrube, und ihre Würgegeräusche hallten durch die ganze Abteilung.“

„Regierungsmensch“ ist man im Iran eben auch als Verhörbeamter im berüchtigten Evin-Gefängnis. Evin – wie nichts sonst stehen diese vier Buchstaben für den Terror, den der Staat gegen Andersdenkende ausübt, gegen Regimegegner oder jene, die er dafür hält. Evin: In den Folterkellern dieses Gefängnis-Komplexes im Norden Teherans wurde 2003 die iranisch-kanadische Fotoreporterin Zahra Kazemi zu Tode geprügelt – im Gegensatz zu vielen anderen erregte ihr Fall immerhin internationale Aufmerksamkeit. Und als heuer im Frühsommer viele die gefälschte Präsidentschaftswahl nicht hinnehmen wollten und auf die Straße gingen, brachte man wiederum Hunderte von ihnen nach Evin, das schon seit der Schah-Zeit auf politische Gefangene spezialisiert ist.

Genau das macht Cheheltans Roman, dessen Handlung vor etwa 20 Jahren spielt, zum Buch der Stunde beim Thema Iran. Kombiniert man die aktuellen Bilder, Folter- und Mordvorwürfe mit den explizit geschilderten Folterszenen des Romans – dass Cheheltan nicht einmal versuchte, sein Buch durch die Teheraner Zensur zu bringen, liegt auf der Hand – schnürt es einem die Kehle zu. Auch wenn die Figuren-Konstellation zunächst unwahrscheinlich wirkt, ist sie als eine Art „repräsentativer Extremfall“ durchaus schlüssig und vom Autor gnadenlos durchexerziert. Die Islamische Republik – ein riesiges Gefängnis, vor dessen Wärtern es kein Entkommen gibt.

Die Handlung ist rasch erzählt: Der vorgebliche Arzt Fattah, selbst aus den Reihen des Geheimdienstes und Evin-geschult, hat eine munter sprudelnde Geldquelle aufgetan: Er macht Jungfrauen. Sprich, er näht jungen Frauen vor deren Hochzeit das dringend benötigte Jungfernhäutchen wieder zusammen. Der unverheiratete Sadist, dessen Mutter die Hoffnung aufgegeben hat, einmal Enkel auf den Armen zu halten, lässt es während der Eingriffe an ausgesucht widerwärtigen Kommentaren, die er seinen hilflosen Patientinnen entgegenspeit, nicht mangeln. Auch bei Schahrsad.

Doch diesmal ist etwas anders. Er will von ihrer Mutter nicht nur das Geld für die Operation, er will auch ihre Tochter. Und der Meister der Doppelmoral ist offenbar gewöhnt, dass er bekommt, was er will. Das heißt, er nimmt „es“ sich einfach. Eine Frau, das ist für ihn vor allem eine Sache, die
man auf einem Sockel ausstellt. Dass er für sich das Recht in Anspruch nimmt, die Folgen der Operation durch eine Vergewaltigung wieder zu „korrigieren“, verwundert dann schon nicht mehr. Das erfährt sein Konkurrent Mustafa zwar nicht, aber er spürt, dass er gegenüber dem mächtigen Mitbewerber in einer aussichtslosen Position ist und setzt eine letzte verzweifelte Aktion – die Schahrsad noch in der Nacht ins Massengrab bringt. Die zwei Männer haben „erfolgreich“ so lange an dem Mädchen gezerrt, bis es tot war.

Und Schahrsad? Ihre Zukunftspläne, Gefühle, ihre Sehnsüchte? Spielen kaum eine Rolle, und folgerichtig ist Cheheltans Roman auch ein Täter-, kein Opferbuch geworden. Der Autor durchleuchtet das Umfeld der Regime-Schergen Mustafa und Fattah, erzählt, wie sie zu dem wurden, was sie sind – ohne dass er freilich in irgendeiner Form den Versuch unternimmt zu rechtfertigen, was nicht gerechtfertigt werden kann, oder zu moralisieren, wo jedes Moralisieren überflüssig ist.

Die einfache, klare Sprache macht das Geschilderte umso eindringlicher. Dynamik gewinnt der Text durch einen steten Wechsel von temporeich erzählten Passagen aus der Gegenwart der Akteure und „langsamen“ Rückblenden. Einen merkwürdigen Beigeschmack bekommt die Übersetzung von Susanne Baghestani allerdings, wenn Teheraner in die deutsche Umgangssprache wechseln: „Siehste“, „Nu mach schon“, „Ne Minute“, „Früchtchen“; das wirkt lächerlich. Es ist aber der einzige Makel eines tieftraurigen, aber wichtigen Buches. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2009)

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