Die Tücken der Onlinerevolution

UNI. Die Besetzer haben sich per SMS und Facebook organisiert. Das eröffnet Möglichkeiten, birgt aber auch Gefahren.

Wien. Beinahe zeitgleich beginnen bei vielen Wiener Studenten die Handys zu läuten. In Massen-SMS erfahren die Jugendlichen von der Besetzung des Audimax-Hörsaals der Uni Wien: Es ist Donnerstagmittag, und die Mobilisierungsmaschinerie der „Generation Internet“ ist angelaufen. Sind es zu Beginn nur einige hundert, die nach einer Demo vor die Uni ziehen, so verschanzen sich wenig später mehr als tausend Streikende im Hörsaal.

Ein spontane, ungeplante Aktion, wie alle immer wieder betonen. Keine Partei oder politische Gruppierung, ja nicht einmal die gewählten Studentenvertreter der ÖH seien eingebunden gewesen.

Es sind die modernen elektronischen Kommunikationsmittel, die den Streik ermöglicht haben. Sie erlauben den Jugendlichen eine ganz neue Form der Vernetzung. Innerhalb nur weniger Stunden war eine Gruppe in der weltgrößten Onlinecommunity Facebook (Audimax Besetzung an der Uni Wien – Die Uni brennt!) gegründet, einen Tag später hat sie an die 2000 Mitglieder.

Laufend werden SMS an Freunde verschickt, auch in einem Nebenraum des Saals wird eifrig an der Weiterverbreitung der Nachricht gearbeitet. Viele haben Laptops organisiert und tippen Pressemeldungen, die per E-Mail an Medien und potenzielle Mitstreiter verschickt werden. Andere basteln Flyer und Plakate. Wer Sprachwissenschaft studiert, wird zum Übersetzen der Forderungen geholt. In sechs Sprachen gibt es den Aufruf zum Boykott bereits, darunter in Türkisch und Portugiesisch. Immer wieder gibt es Solidaritätsbekundungen von anderen österreichischen Unis sowie aus Zürich und von der deutschen Uni Jena.

Auch der Onlinedienst Twitter, auf dem Mitglieder kurze Nachrichten in alle Welt verschicken können, wird genützt. „Ich versuche, alles, was hier passiert, gleich live ins Netz zu stellen“, sagt die 24-jährige Melanie. Sie sitzt mit ihrem Laptop auf dem Schoß im Saal und tippt die Forderungen der Redner, die sich ums Mikrofon scharen, ab. Rund 150 „Tweets“, wie die Nachrichten heißen, hat sie seit der Früh verschickt.

Es ist genau dieses Engagement jedes Einzelnen, dem die Besetzer den Erfolg ihrer Aktion zuschreiben: „Wenn eine Partei so etwas veranstaltet, kommt außer Funktionären und ein paar Sympathisanten kein Mensch“, sagt einer. Erst „der Zorn und die persönliche Betroffenheit aller hat all das hier möglich gemacht.“ In der Tat, das Durchhaltevermögen der Studenten ist beachtlich: Auch 24 Stunden nach Beginn der Besetzung kommen neue Leute, einige haben sogar hier übernachtet. So wie die junge Germanistikstudentin Miel, die sich vom Vater den Schlafsack bringen ließ. Das sei ihr „persönlicher Einsatz für freie Bildung“.

Die Gefahren der Vielfalt

Eine Gruppe hat sich unterdessen ums Frühstück gekümmert. Es gibt Semmerln, Streichkäse und Marmelade. Statt Bier wird Kaffee verteilt. Die ÖH stellt Kopierer zur Verfügung und liefert einen Generator, als das Rektorat in der Aula wegen der Musik den Strom kappt. Andere Besetzer sammeln Müll auf – ein untrügliches Zeichen ihrer Angepasstheit. „Solidarität mit dem Reinigungspersonal“, nennen es die Studenten.

Langsam jedoch scheint die eigentliche Stärke der Bewegung – eben ihre Spontaneität und Vielfältigkeit – zur Schwäche zu werden. Seit die Uni beschlossen hat, auf Deeskalation zu setzen, macht sich Unruhe unter den übermüdeten Studenten breit. Immer wieder kommen auch Erstsemestrige, die nun Vorlesungen im Audimax hätten und über die Besetzung verärgert sind. Um diese aufrechtzuhalten, ist nun eine Menge an Koordinierung und Bürokratie nötig.

Eine unweigerliche Gefahr für eine so „basisdemokratische“, inhomogene Gruppe. Da es niemanden gibt, der wirklich verantwortlich ist, versuchen einige, das Ruder an sich zu reißen. Sie wollen in Arbeitsgruppen endlich Beschlüsse fassen. Andere sind dagegen: „Wir bürokratisieren uns selbst“, ruft einer, der alles im Plenum diskutieren will. Eine Frau fordert mehr weibliche Redner – und rügt Betrunkene, die „nackte Hintern und schiache Spatzerln“ auf der Bühne gezeigt haben.

Auch linke politische Gruppen haben Einzug gehalten. Sie reden nicht von Uni-Problemen, sondern von Weltrevolution. „Üble Kampfrhetorik“, die nichts mit der Sache zu tun habe, nennen es manche. Die Partystimmung der vergangenen Nacht ist jedenfalls verflogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2009)

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