Die Freihandelschance im Osten Europas

(c) imago/UIG
  • Drucken

Zölle und Sanktionen lassen den Handel zwischen Russland und der EU stocken. Ein Handelsabkommen alten Stils würde beide Seiten besserstellen, so das Münchner Ifo.

Wien/München. Der Brexit wird die außenpolitische Orientierung der EU verändern. Gleichzeitig stehen die Handelsabkommen mit Nordamerika auf dem Prüfstand (Ceta), oder liegen auf Eis (TTIP). Zeit für eine Neuausrichtung der EU-Handelspolitik? Eine aktuelle Studie des renommierten Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) schlägt die Wiederbelebung einer alten Idee vor: eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok.

Konkret hätten dahingehende Verhandlungen mit Russland zwei große Vorteile, sagt der Studienautor Gabriel Felbermayr. „Erstens gibt es unseren Berechnungen zufolge bei so einem Abkommen nur Gewinner und keine Verlierer“, so der gebürtige Oberösterreicher im Gespräch mit der „Presse“. Der Grund: Russlands Wirtschaft ist genauso wie die der anderen ehemaligen Sowjetrepubliken extrem auf den Rohstoffexport konzentriert. Die Europäer exportieren Autos, Maschinen und Lebensmittel. Aufgrund dieser Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur würde es zu starken Komplementäreffekten kommen, so Felbermayer. Oder, einfach ausgedrückt: Man passt einfach zueinander. Der eine hat die Energie, der andere das Know-how.

Zweiter Grund, das derzeit eher komplizierte Verhältnis mit Moskau wieder zu entspannen: „Mit Russland kann man noch ein Abkommen der alten Schule machen, das sich auch rechnet.“ Soll heißen: Weil die Zölle und Tarife zwischen der EU und Russland noch immer hoch sind, lässt sich auch viel abbauen. Ein klassisches Freihandelsabkommen würde viel bringen, aber nicht ansatzweise so weit gehen wie etwa das derzeit auf Eis liegende TTIP-Abkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten.

„Bei TTIP ging es nicht so stark um Zölle, sondern um tiefgreifende regulatorische Fragen. Da sind die Unterschiede zwischen der EU und Russland aber ohnehin astronomisch. Ein realistisches Abkommen würde sich also auf Zölle und einige Standards beschränken. Aber gerade weil die Zölle nach Russland mit etwa sechs Prozent dreimal so hoch sind wie in die USA, sind auch die Chancen dreimal so hoch“, so Felbermayr.

Chancen für Österreichs Industrie

Die von Russland errichteten Handelsschranken gehen oft weiter zurück als zum Konflikt in der Ukraine und den folgenden Sanktionen der EU gegen Russland. Auch sei die Tatsache, dass der Handel zwischen der EU und Russland zuletzt zurückgegangen ist, eher auf die fallenden Ölpreise und die russische Rezession zurückzuführen als auf die Sanktionen, so das Ifo. Nichtsdestotrotz: Die EU-Länder haben die Sanktionen gerade erst bis Mitte 2017 verlängert.

Eine zukünftige Entspannung der Beziehungen würde auch Österreich nützen, so Felbermayr: „Ein Thema ist natürlich der Tourismus. Aber auch in anderen Bereichen ist Österreich betroffen. KfZ-Zulieferer und Maschinenbauer haben in Russland erhebliche Marktchancen. Auch die Lebensmittelindustrie.“ Unter dem Strich könnte sich Österreich rund 800 Mio. Euro an zusätzlicher Wertschöpfung erwarten. Deutschland in etwa das Zehnfache.

Besondere Gewinner wären laut Ifo-Berechnungen aber die baltischen Staaten, Finnland oder Italien. Unter dem Strich würden diese Staaten – aber auch die Russen auf der anderen Seite – deutlich stärker profitieren als etwa Deutschland. Dennoch empfehlen die Ifo-Experten in ihrer Studie: „Die Aussicht auf eine ambitionierte und ernst gemeinte wirtschaftliche Integration mit Europa sollte zu einem Teil der Osteuropapolitik der EU und Deutschlands werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Österreich

Ernst Fehr: „Freihandelsdebatte zeigt Bildungslücke“

Zu wenig wirtschaftliche Bildung mache viele zum „Opfer populistischer Demagogie“, sagt Verhaltensökonom Ernst Fehr. Er plädiert für weniger Ideologie in der Bildungspolitik und die Pflicht zu vorschulischer Bildung.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.