Schnitzlers "Ronde" in London

(c) The Bunker
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Im Theater "The Bunker" spielen nur vier Akteure den "Reigen". Wer mit wem in welcher Rolle auf die Bühne (und ins Bett) steigt, entscheidet ein riesiges Glücksrad.

Der Valentinstag wird in der britischen Gesellschaft mit großer Ernsthaftigkeit als Tag der Liebe begangen. Restaurants offerieren Zweiertische fürs „candle night dinner“, Theater werben mit dezenten Logen, alle möglichen Produkte werden mit (manchmal überraschenden) erotischen Qualitäten angepriesen. Passend, dass die neue Londoner Theatertruppe „Collaborative Artists“ ihre Neuinszenierung des „Reigen“ just an diesem Tag vorstellte.

Schnitzlers Werk liefert die Grundlage. Aber anders als im Original werden die zehn Akte nur von vier Schauspielern – zwei Frauen und zwei Männern – bestritten. Wer mit wem (nicht nur) auf die Bühne steigt, bestimmt allein ein riesiges Glücksrad, das wie in einer Fernsehshow mit Licht und Musik den Kandidaten für den nächsten Akt wählt. Oft genug erweist es sich dabei als Schicksalsrad. Wie im Leben. „Wir wollten zeigen, dass die Sehnsucht und das Verlangen keinen rationalen Regeln folgen“, erklärte Regisseur und Autor Max Gill der „Presse“. 3024 Varianten sind nach den Vorgaben der Inszenierung möglich. Alle vier Akteure haben alle Rollen gelernt und können in jeder Konstellation ihr Spiel mit der Liebe machen. Wenn nicht die Liebe mit ihnen spielt.

Während Gill und der Produzent des Abends, der Schauspieler Daniel Donskoy, der Idee des „Reigen“ folgen, verlegen sie Handlung und Text in die Gegenwart. In einem Londoner Kellertheater am Südufer der Themse, das vor zwei Jahren noch eine Tiefgarage war, kann man nun erleben, wie zeitgemäß das Stück auch 120 Jahre, nachdem Schnitzler sein Manuskript in einer Schublade eingesperrt hatte, noch ist.

Wegen seines expliziten sexuellen Inhalts wurde „Der Reigen“ damals ebenso rasch ein riesiger Erfolg wie ein öffentlicher Skandal. Bis 1982 war ein Aufführungsverbot in Kraft. Dennoch war das Werk nicht zu stoppen. Im englischen Sprachraum wurde es als „La Ronde“ bekannt. Sigmund Freud schrieb 1922 an Schnitzler nach Lektüre des Stücks: „Sie haben durch Gespür bereits alles erfasst, was ich erst durch mühselige Arbeit mit meinen Patienten ans Tageslicht bringen konnte.“

Intime Bekenntnisse von Londonern

120 Jahre und mehrere sexuelle Revolutionen später ist Sex nicht mehr das große Unaussprechliche, sondern ebenso kommerzialisiert wie andere Grundbedürfnisse. Auch das beweist der Valentinstag. Während sich das große Rad des Schicksals dreht, hört das Publikum die intimen Bekenntnisse anonymer Londoner. In den einzelnen Akten rührt die Neufassung aber auch an Tabus, wie es einst Schnitzlers Original tat. Wie in diesem erweisen sich Begehren und Begierde als stärker als Normen und Herkunft. Hinter der Erfüllung steht oft die Leere. Was angedeutet wird, macht oft den stärksten Eindruck. Der Weg vom Leben zum Tod ist kurz: „Während ich auf den Bus warte, plane ich mein eigenes Begräbnis. Nur die Musik bekomme ich nicht hin“, heißt es im sechsten Akt. Die Inszenierung erlaubt es jedem Zuseher, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.

Vom Premierenpublikum wurde die Neuinszenierung mit großem Jubel aufgenommen. Die Auseinandersetzung mit einem europäischen Klassiker wie Schnitzler ist für Donskoy in Zeiten des Brexit auch ein politisches Statement: „Wir wollen damit bewusst ein Zeichen setzen.“ Sein größter Wunsch aber ist es, „mit unserem Stück eine Einladung nach Wien zu bekommen und es dort zu spielen, wo Schnitzler zu Hause war“. Die Wiener Festwochen sollten diesen Brief rasch schreiben.

„The Bunker“, 53a Southwark Street (bei der London Bridge), bis 11. März. Info: www.bunkertheatre.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2017)

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