Der religiös ausgerichteten AKP gelang es, die streng kemalistischen Gralshüter in die Schranken zu weisen. Die Partei brachte Reformluft in die Türkei, ehe sie ihre (gesellschaftspolitischen) Errungenschaften wieder revidiert hat.
Jedem Tourist, jeder Besucherin in der Türkei ist sicherlich aufgefallen, welchen Stellenwert der Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk im öffentlichen Leben einnimmt. Atatürk, der siegreiche General aus dem osmanischen Thessaloniki, hat die europäischen Besatzer aus dem zerfallenen Osmanischen Reich verjagt, die post-osmanische Ordnung geprägt und die Türkei mit einer beispiellosen Reformwelle der westlichen Hemisphäre angepasst. Mit Atatürk haben die kemalistischen "Sechs Pfeile" die fünf Säulen des Islam sowie das Sultanat samt Kalifat abgelöst. Nationalismus, Säkularismus, Populismus, Republikanismus, Etatismus sowie Modernismus sollten die neue Türkei nach dem Ende der Monarchie formen.
Die Anfangszeit der modernen Türkei war geprägt von der Einparteienherrschaft, von der eisernen Hand Atatürks und seinem Nachfolger Ismet Inönü. Die Ursprünge der Republik sind, gemäß dem Wirken des Staatsgründers, sehr eng mit dem Militär verwoben, weswegen die Generäle lange Zeit als Wahrer der säkular-kemalistischen Staatsordnung auftraten. Allerdings befand sich die kemalistische Elite im ursprünglichen Sinn schon seit den 1950er-Jahren in der Defensive, seit das Mehrparteiensystem Einzug gehalten hat.