Versteinertes Wasser

Europe, Hungary
Europe, Hungary(c) Martin Zwick / Danita Delimont / (Martin Zwick)
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Tropfsteine sind treue Klimaarchive, die weit zurückreichen. Gestaltet werden sie nicht nur von Physik und Chemie, sondern bisweilen gar von Leben.

Am 24. Mai im 17. Jahr der Regentschaft des Kaisers Guangxu führte der Bürgermeister Huaizong Zhu über 200 Menschen in die Höhle, um Wasser zu holen. Ein Wahrsager namens Zhenrong Ran sprach Gebete für Regen.“ So steht es schwarz auf gelb an der Wand, auch früher hatten sich Prozessionen verewigt, die dorthin gepilgert waren, wo es noch Wasser gab, wenn „die Berge vor Trockenheit schrien“. Forscher entdeckten die Graffiti per Zufall 2009, sie waren hinter Tropfsteinen her, um in ihnen zu lesen, was da, historisch einmalig, auch außen auf ihnen verzeichnet war (Scientific Reports 5: 12284).

Dort steht es mit Farbe, innen in chemischen Elementen: Die Steine, die in Höhlen aus der Decke und dem Boden wachsen – fachlich: Speläotheme, poetischer: versteinertes Wasser – legen Ringe an wie Bäume, zumindest tun sie das dort, wo der Niederschlag über das Jahr variiert und etwa mit dem Monsun in einer Fuhre kommt: Das von der Luft und vom Erdboden mit CO2 angereicherte Wasser löst beim Versickern Kalziumkarbonat – Kalk – im Gestein über der Höhle auf, unten tritt das CO2 wieder aus, der Kalk bleibt.

Im 17. Jahr der Regentschaft des Kaisers Guangxu – in unserem Kalender: 1892 – sickerte fast nichts, aber es reichte zum Datieren: Im Kalk ist vieles eingelagert, im Glücksfall auch Uran. Das zerfällt im Lauf der Zeit zu Thorium, aus dem Verhältnis beider lässt sich das Alter bestimmen. Nicht nur das der Steine: In einer Höhle in Israel konnte man so eruieren, wann frühe Bewohner da waren, Neandertaler, an ihren Knochen hatte sich Tropfwasser angelagert (Nature 520, S. 216). Für eine zweite Datierungsmethode, die mit Radiocarbon, waren diese Fossilien zu alt, bei jüngeren Speläothemen wird auch sie genutzt. Und der Kohlenstoff im Kalk ist auch sonst eine reichhaltige Quelle, aus seinen Isotopen kann man etwa auf den Pflanzenbewuchs des Bodens über der Höhle schließen, und damit indirekt auf das Klima.

Direkten Zugang bietet der Sauerstoff, er zeigt die Temperatur, in der der Regen fiel: Sie „fraktioniert“ die Isotopen: Das schwerere 18O regnet bei höheren Graden ab als das leichtere 16O, im Verhältnis beider steckt die Temperatur. Allerdings spielt anderes auch mit, die Höhe über dem Meeresspiegel etwa: Eine Gruppe um Christoph Spötl (Uni Innsbruck) hat an Speläothemen in der Schweiz bemerkt, dass sich auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit die Winde drehten: Früher wehten sie vom Westen, da stand ihnen wenig im Weg, nun kamen sie vom Süden und mussten erst den Alpenhauptkamm hinauf. Die Wolken mussten mit und verloren viel 18O, in den Norden kam weniger (Nature Communications 6:6344).


Waldbrand-Archiv. Und Berge sind auch nicht immer gleich hoch, sie können in den Himmel wachsen, etwa durch Eiszeiten: An 18O/16O haben die Innsbrucker im Allgäu erhoben, dass die Gipfel sich gehoben haben, von 2000 auf 2500 Meter, die Höhle ging gar 1500 Meter hinauf. Dafür sorgte die Erosion: Sie setzte den Gipfeln arg zu, aber in den Tälern hobelten die Gletscher auch viel weg, im Gegenzug gingen die Berge hinauf (Geology 39, S. 447). Ähnliche Feinheiten bietet der Kohlenstoff: Wenn der zeigt, dass oben nichts wuchs, heißt das nicht automatisch, dass Dürre herrschte, das fiel Pauline Treble (Sydney) an Höhlen in Australien auf, die nicht weit voneinander entfernt waren, aber unterschiedliche Werte zeigten: Offenbar hatten regional Waldbrände gewütet (Hydrology and Earth System Sciences 20, S. 2745).

Das Lesen in Speläothemen ist also eine hohe Kunst, aber sie sind oft die einzigen Zeugen, andere Archive, Baumringe oder Pollen in Sedimenten, reichen nicht weit zurück, die letzte Eiszeit hat an der Oberfläche das meiste ausradiert. Unten blieb alles bewahrt, dort steckt das Klima mit seinen großen Schwankungen. Vor allem in China reichen die Daten weit zurück, bis zu 640.000 Jahren, sie zeigen Muster, größere und kleinere, beide hängen an der Sonne: Der Monsun schwankt in einem Rhythmus von 23.000 Jahren. Das kommt daher, dass die Erdachse sich periodisch neigt und der Nordhalbkugel alle 23.000 Jahre besonders viel Sonne bringt, dann wird der Monsun extrem (Nature 451, S. 1090). Und die Sonne sorgt auch selbst für das Klima, ihr elfjähriger Rhythmus ist nur der bekannteste, ein anderer pulst alle 500 Jahre. Dann stürzen Fluten vom Himmel (Pnas 18. 1.). In wieder anderen Takten, bei denen auch das Klimaphänomen El Niño mitspielt, kommen Dürren – sie brachten viele Dynastien zu Fall –, die nächste wird für Ende der 2030er-Jahre erwartet.

Dann stehen harte Zeiten ins Haus, dem Leben über dem Boden. Dem darunter nicht: Auch Höhlen haben Bewohner, sie haben sich angepasst, Grottenolme sind erblindet und erbleicht – in den Sprachen des Balkans heißen sie deshalb „Menschenfischlein“ –, auch Höhlenfische haben den Sehsinn aufgegeben, manche zudem das Gehör: Nicht in allen Höhlen ist es still wie im Grab. Wo ein Bach ist, multiplizieren die Wände sein Rauschen zum Lärm (Biology Letters 9:20130104).

Der interessiert andere Lebensformen nicht: Mikroben. Die hausen nicht nur in Höhlen, sie formen sie mit, en gros und im Detail: Manche Bakterien ernähren sich von Schwefelwasserstoff, sie produzieren Schwefelsäure, die zerfrisst die Wände, weitet Höhlen (Chemical Geology 410, S. 21). Andere schmücken sie: Höchst selten wachsen Tropfsteine nicht schlicht von oben nach unten oder umgekehrt, sondern haben Auswüchse in wildeste Richtungen, gar im Kreis herum, deswegen nennt man sie auch Höhlenblumen. Die spotten allen Gesetzen der Physik, trotzdem suchte man lang die Lösung in ihr, in Kapillarkräften oder der Zugluft.

Bis Nicola Tisato (Toronto) in den Ferien in Südfrankreich die Asperge-Grotte besuchte und etwas sah, was er „in 18 Jahren als Höhlenforscher noch nie gesehen hatte“, die Blaue Galerie, ein Höhlenblumenbouquet. Gestaltet wird es von Bakteriengemeinschaften, die für das Ausfällen von Kalk sorgen. Dass sie das in wunderlichen Gestalten tun, könnte passiv am Nahrungsangebot liegen, auch einen biologischen Hintersinn haben, Tisato will noch unklare ökologische Vorteile „nicht ausschließen“ (Scientific Reports 5:15525).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)

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