Ode an den Kollektivvertrag

PROTESTKUNDGEBUNG DER METALLER-GEWERKSCHAFT
PROTESTKUNDGEBUNG DER METALLER-GEWERKSCHAFT(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Vor 70 Jahren trat das Kollektivvertragsgesetz in Kraft. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr drohen die Sozialpartner ihre alleinige Herrschaft über Löhne und Gehälter zu verlieren.

Wir werden schauen, ob es da zu Ergebnissen kommt, wenn nicht, müssen wir hier gesetzliche Maßnahmen in Erwägung ziehen.“ Dieser Satz von Kanzler Christian Kern (SPÖ) klingt nun nicht danach, als würde er in die Geschichte eingehen. Dennoch wagte er sich damit Mitte Jänner in bisher für Regierungschefs unbekanntes und vor allem de facto verbotenes Terrain. Denn die Rede war von den Mindestlöhnen. Kern wünscht sich, dass diese in ganz Österreich nicht unter 1500 Euro brutto liegen.

Wünsche durften Spitzenpolitiker in diesem Land äußern. Doch wie hoch die Löhne und Gehälter am Ende tatsächlich sind, das ist seit 26. Februar 1947 einzig und allein Angelegenheit der Sozialpartner. Konkret der Wirtschaftskammer und des Gewerkschaftsbundes. Der Kollektivvertrag feiert heute seinen 70. Geburtstag.

Ob es Kern gelingt, ihn tatsächlich in Pension zu schicken, darf bezweifelt werden. Allein aber, dass den Sozialpartnern im jüngst verhandelten Regierungsprogramm eine Frist bis 30. Juni gesetzt wird, um ein positives Ergebnis zu präsentierten, bringt eine neue Qualität ins Spiel.

„Die Gewerkschaften sind stark genug“ und seien nicht auf die Hilfe der Regierung angewiesen, meinte Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske – bestimmt, aber ruhig im Ton. Nicht auszudenken, wie Anton Benya auf eine derartige Brüskierung der Sozialpartner reagiert hätte. Der legendäre, 2001 verstorbene, ÖGB-Chef drückte dem Kollektivvertrag seinen Namen auf. In den 1960er-Jahren entwickelte er eine Berechnungsmethode der jährlichen Lohnerhöhung, die als „Benya-Formel“ in die österreichische Wirtschaftsgeschichte einging.

Laut dieser Formel solle den Arbeitnehmern die Inflation und ein Teil des Produktivitätszuwachses abgegolten werden. Bis Ende der 1980er-Jahre führte diese Berechnung dazu, dass die Kaufkraft der Arbeitnehmer in etwa so stark stieg wie die Gewinne der Unternehmer. Irgendwann kam dieser Gleichschritt aber ins Wanken. Den Arbeitnehmern blieb vergleichsweise immer weniger. Die Nettolohnquote sank in Österreich innerhalb von 30 Jahren von 67 Prozent Ende der 1980er-Jahre auf heute unter 60 Prozent. Grund sind nicht die schlechten Lohnabschlüsse, sondern die hohe Besteuerung des Faktors Arbeit. Den Großteil der Lohnerhöhungen kassierte der Finanzminister aufgrund der sogenannten kalten Progression.


Gegen marktwirtschaftliche Regeln. „Die Geschichte des österreichischen Kollektivvertrags ist unter dem Strich eine Erfolgsgeschichte“, konstatiert der liberale und Sozialpartner-kritische Ökonom Bernhard Felderer. Dabei verstößt die Regelung so ziemlich gegen alle marktwirtschaftlichen Grundsätze. So gibt es etwa in anderen Ländern einen Wettbewerb zwischen konkurrierenden Gewerkschaften. Das Buhlen um Mitglieder führte in Südeuropa zu überzogenen Lohnabschlüssen – und trug am Ende auch seinen Teil zur Massenarbeitslosigkeit im Zuge der Wirtschaftskrise bei.

In Deutschland geschah das Gegenteil. Dort gelten die sogenannten Branchentarifverträge übrigens nur für knapp 50 Prozent der Beschäftigten. Vor allem in Ostdeutschland stiegen in der Vergangenheit viele Unternehmen aus dem Arbeitgeberverband aus und waren somit auch nicht mehr an den Tarifvertrag gebunden. Sie hofften mit Firmen- oder Einzelkollektivverträgen besser auszusteigen. Was sich übrigens vielerorts als Irrtum erwies. Die etwas niedrigeren Lohnabschlüsse standen in keinem Verhältnis zum Aufwand für das einzelne Unternehmen. Viele Firmenchefs kehrten reuig zum Arbeitgeberverband zurück.

In Österreich sind Unternehmern derartige Irrwege von vornherein versperrt. Sie sind schließlich Pflichtmitglieder der Wirtschaftskammer.

Das größte Problem eines Kollektivvertrags ist, dass er nicht auf die individuellen Befindlichkeiten eines Unternehmens eingeht. Für Betriebe, die florieren, sind hohe Lohnabschlüsse zu verkraften – ja mitunter sogar von Vorteil, weil sie Mitbewerber schwächen. Steckt ein Unternehmen allerdings in der Krise, kann ein hoher Lohnabschluss existenzbedrohend sein.

Hinter vorgehaltener Hand erzählen ehemalige Betriebsräte, wie sie einst mit Duldung der Gewerkschaftsbosse in Krisenunternehmen Lohnabschlüsse unter dem Kollektivvertrag vereinbart haben, um Standort und Jobs zu retten. „Alles geschah unter strengster Geheimhaltung“, erinnert sich so mancher. Vor allem auf Unternehmerseite waren derartige „Kompromisse“ heikel, führten sie doch zu einer Wettbewerbsverzerrung.

Womit wir beim größten Kritikpunkt am österreichischen Tarifmodell wären. Zwischen „Kompromiss“ und „Machtmissbrauch“ liegt bekanntlich ein schmaler Grat. Und auf diesem wandern Institutionen mitunter, die weder externe Kontrolle und Wettbewerb zu fürchten haben.

Apropos Wettbewerb: Die liberale Denkfabrik Agenda Austria kam zum Ergebnis, dass eine Erhöhung des Mindestlohns in den Sektoren Verkehr und Beherbergung/Gastronomie auf knapp unter 1500 Euro brutto möglich wären, ohne dass die Beschäftigung junger Menschen abnimmt. Hingegen würde ein höherer Mindestlohn im Handel Arbeitsplätze gefährden.

Wie hat Anton Benya einst gesagt: „Was nützt die geballte Faust, wenn da einer sagt: ,Ich sperre zu.‘“

Löhne

26. Februar 1947. In Österreich tritt das Kollektivvertragsgesetz in Kraft.

Tarifpartner. In Österreich werden die Lohnverhandlungen traditionell von Vertretern der Wirtschaftskammer und des Gewerkschaftsbundes geführt. Eine besondere Bedeutung gilt dem Metaller-Kollektivvertrag. Er dient als Benchmark für andere Branchen. Im Vorjahr einigten sich die Metaller auf eine Lohnerhöhung von 1,68 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)

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