Rumänien: Die Verteidiger der Demokratie gegen die Parteibarone

Sie fordern weiter den Rücktritt der Regierung: Demonstranten am Sonntag in Bukarest.
Sie fordern weiter den Rücktritt der Regierung: Demonstranten am Sonntag in Bukarest.(c) APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU (DANIEL MIHAILESCU)
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Die selbstbewusste Mittelklasse will Amtsmissbrauch und Korruption nicht mehr hinnehmen. Doch die Beharrungskräfte der Politikerkaste sind groß.

Hart peitscht der Regen über den Asphalt. Trillerpfeifen und Sprechchöre übertönen am Bukarester Siegesplatz den dröhnenden Verkehr. Ob Schnee, Regen oder Eis – bis auf den Tag seiner Hochzeit sei er seit drei Wochen an jedem Abend auf dem Platz gegenüber Rumäniens Regierungsgebäude gestanden, berichtet der 31-jährige Maschinenbauingenieur Claudiu. Viel zu viel habe sich in Rumänien in die falsche Richtung entwickelt: „Genug ist genug. Es ist einfach Zeit, endlich die Spur zu wechseln.“

Klamm frösteln die Demonstranten in den klatschnassen Jacken im eisigen Wind. Obwohl sich an diesem Tag nur rund 3000 Demonstranten auf dem zugigen Platz versammelt haben, strahlt Marian Petre hinter seiner verregneten Brille über seine frostgeröteten Wangen. Ob mit Hunderten, Tausenden oder Hunderttausenden von Gleichgesinnten – „aus Respekt vor dem Recht“ habe er noch keinen einzigen Protesttag verpasst, erzählt der 58-jährige Anwalt. Die Regierung wolle sich maßgeschneiderte Gesetze für ihre Bedürfnisse schaffen: „Wir wollen nur eines – Demokratie. Der Bürgersinn ist erwacht. Dieses Land verändert sich. Es gibt keinen Weg mehr zurück in die alten Zeiten.“

Verteidiger der Demokratie

Es gibt kein Podest, und niemand hält Reden. „Abtritt“ und „Diebe“ skandieren stattdessen die Demonstranten. Er habe gerade seinen Sohn zu Bett gebracht, als er am Abend des 31. Jänner von dem „hässlichen“ Dekret vernommen habe, erzählt der Familienvater Matei. Die Nachricht, dass sich Würdenträger selbst einen Straferlass bei Amtsmissbrauch mit einer Schadenssumme von bis zu 45.000 Euro verschaffen wollten, ließ dem IT-Fachmann keine Ruhe: „Mit WhatsApp nahm ich sofort Kontakt mit den Freunden auf. Wir sagten, was zum Teufel tun die – und kamen sofort hierher.“

Von einer „unglaublichen Mobilisierungskapazität“ spricht in seinem Büro der Politologie-Professor und Analyst Cristian Pîrvulescu: „Schon eine Stunde nach der Ankündigung des Dekrets standen 10.000 Menschen auf dem Siegesplatz – um elf Uhr abends.“ Bei den größten Demonstrationen seit dem Sturz des sozialistischen Diktators Nicolae Ceauşescu sollten in den Folgetagen landesweit bis zu 600.000 Menschen über die Straßen ziehen.

Getragen werde die Bürgerrechtsbewegung von der urbanen Mittelklasse, die schon mehrmals erfolgreich den Aufstand gegen autoritäre Parteienwirtschaft geprobt habe, so Pîrvulescu. „Die Proteste sind nicht nur eine Reaktion gegen Korruption. Sie haben das Ziel, die Demokratie gegen autoritäre Tendenzen zu verteidigen.“ Auf rund 4000 Amtsträger aller Parteien beziffert Pîrvulescu die Zahl der Würdenträger, gegen die die Sonderstaatsanwaltschaft DNA Ermittlungen wegen Korruption und Amtsmissbrauchs eingeleitet hat. Tatsächlich müssen nicht nur korrupte Parteibarone der regierenden Sozialisten (PSD), sondern auch Amtsträger der Opposition um ihre Freiheit fürchten. Ins Visier der DNA-Ermittler geriet vergangene Woche Nicolae Robu, der Bürgermeister von Temeswar (Timişoara) von den oppositionellen Nationalliberalen (PNL): Ihm wird vorgeworfen, 1000 einst nationalisierte Wohnungen illegal zum Dumpingpreis verscherbelt zu haben. Geschätzte Schadenssumme für den Staat: 40 Millionen Euro.

Vertreter lokaler Businessclans

Die erste Runde im Machtkampf mit der Regierung haben die Demonstranten gewonnen. Doch trotz der Atempause bleiben die Gegensätze im geteilten Karpatenstaat ebenso groß wie die Beharrungskräfte der ins Visier der Justiz geratenen Parteibarone. Obwohl Bukarest das Dekret vorläufig kassiert habe, sei dieses noch keineswegs annulliert, warnt der 41-jährige Angestellte Radu: „Die lernen nichts. Sie werden es in anderer Form einzuführen versuchen. Solange die Sache nicht gänzlich vom Tisch ist, werden wir weiter protestieren.“

Kanalisationsgeruch durchzieht die Eingangshalle im von Ceauşescu errichteten Haus des Volkes. Als „hässlich, monströs und dysfunktional“ umschreibt Neo-Parlamentarier Calatin Drula seinen Arbeitsplatz. Im Parlament tummelten sich „nicht nur helle Leuchten, um es mal milde auszudrücken“, sagt der Abgeordnete der Antikorruptionspartei USR: „Sie wollen die Zeit um 15 Jahre zurückdrehen, als man für jeden krummen Deal keinerlei Verfolgung fürchten musste.“ Als „reine Kartellpartei“ bezeichnet Pîrvulescu die sozialdemokratische PSD, die vor allem für die Interessen lokaler Business- und Politclans streite. Ihre ländlichen Stammwähler halte sie mit nationalistischem Tönen bei der Stange: „Es ist ein Konflikt zwischen der demokratisch orientierten, sehr mobilen Mittelklasse und einer Politikerkaste, die ihre Position zu verteidigen sucht.“

„Akzeptieren nicht mehr jeden Mist“

Triefnasse Europa- und Landesflaggen baumeln schwer an geschulterten Fahnenstangen. Rumänien habe sich seit dem EU-Beitritt 2007 geändert, sagt Familienvater Matei: „Viele arbeiten nun im Ausland oder reisen mehr als früher. Sie sehen den Unterschied, wie das Leben in anderen Ländern organisiert ist, und wo wir stehen – und wie groß die Kluft ist.“ Seine Landsleute seien nicht mehr „so hörig“ wie einst: „Wir akzeptieren nicht mehr jeden Mist als etwas Unvermeidliches. Niemand will mehr zurück: Wir wollen europäische Werte und Lebensverhältnisse. Und das so schnell wie möglich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2017)

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