Wie eine Panne die Oscars gerettet hat

Nach zwei Jahren im Zeichen des unrühmlichen Hashtags „|OscarsSoWhite“ gewannen heuer zwei schwarze Schauspieler einen Darsteller-Oscar. Von links nach rechts: Mahershala Ali, Emma Stone, Viola Davis, Casey Affleck.
Nach zwei Jahren im Zeichen des unrühmlichen Hashtags „|OscarsSoWhite“ gewannen heuer zwei schwarze Schauspieler einen Darsteller-Oscar. Von links nach rechts: Mahershala Ali, Emma Stone, Viola Davis, Casey Affleck.(c) APA/AFP/ROBYN BECK (ROBYN BECK)
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„La La Land“ war schon als bester Film ausgerufen worden und gewann dann doch nicht. Der Vorfall war das Beste, was der Show passieren konnte – und der Sieg für „Moonlight“ der einzige politische Moment des Abends.

„Der Preis für den besten Film geht an ,La La Land‘.“ Diese Worte wirkten am Sonntag wie der obligate Schlussstrich einer überraschungsfreien Oscar-Nacht. In allen Kernkategorien hatten sich die Favoriten durchgesetzt, Damien Chazelles Retromusical stand als Trophäenkönig da, von spannenden Ausreißern fehlte jede Spur. Und dann, fünf Minuten vor Schluss, als die Produzenten des vermeintlichen Siegerfilms schon ihre Dankesreden hielten, der filmreife Plot-Twist: Präsentator Warren Beatty hatte sich im Kuvert vertan. Der Hauptgewinner hieß nicht „La La Land“, sondern „Moonlight“. Man holte die eigentlichen Preisträger auf die Bühne, ließ die Statuetten weiterwandern, entschuldigte sich für den peinlichen Fauxpas. Das Saalpublikum war sichtlich erstaunt, dem Applaus tat das keinen Abbruch. Im allgemeinen Durcheinander begütigte Moderator Jimmy Kimmel mit charakteristischem Witz: „Wenigstens haben wir ein paar Extrareden gehört!“

Der bizarre Vorfall ist wohl der Höhepunkt in der Pannengeschichte der Oscars. Doch im Grunde hätte der Veranstaltung nichts Besseres passieren können. Einerseits bot das Missgeschick mehr Medienwert als jede Showeinlage – für Schlagzeilen war gesorgt, in sozialen Medien rätselte man über die Ursachen der Verwechslung. Kaum weniger wesentlich: Es ließ den Underdog-Charakter des Indie-Dramas „Moonlight“ und die politischen Untertöne seines Triumphs noch stärker hervortreten. Der plötzliche Preistausch erweckte unweigerlich den Eindruck eines Deus ex Machina: Als hätte ein gütiger Gott im letzten Moment eingegriffen, um zu verhindern, dass wieder einmal alles nach Buchmacherplan verläuft, dass wieder ein glitzerndes Hollywood-Nostalgiefest als Oscar-Abräumer dasteht, dass wieder eine Chance ungenutzt verstreicht, eine Minoritäten-Perspektive zu würdigen. Nach der Pannenoffenbarung klang die Impulsreaktion des sichtlich überwältigten Regisseurs Barry Jenkins („Zur Hölle mit Träumen – das hier ist wahr!“) dann auch wie ein unwillkürlicher Seitenhieb gegen die Konkurrenz: „Here's to the ones who dream“ lautet ein Song-Motto des nahezu prämierten Gegenspielers.

Man muss dazusagen: Die Diskrepanz zwischen den Filmen wurde vielerorts überbetont. Als romantisches Retromusical mit weißer Jazzpuristen-Hauptfigur handelte sich „La La Land“ Rassismusvorwürfe ein – doch die Kritik gerät ins Straucheln, wenn man sich genauer ansieht, wie besagte Figur porträtiert wird. Und obwohl sich über die Qualität des Films streiten lässt, ist er weit weniger oberflächlich als sein Image. Aber als Außenseiter kann man ihn nicht bezeichnen, im Gegenteil: „La La Land“ erfüllt alle Kriterien eines typischen Oscar-Kandidaten.

„Moonlight“: Eine Randerscheinung

„Moonlight“ hingegen stellt eine wirkliche Randerscheinung dar: Seine Produktionskosten (1,5 Millionen) machen ihn im Academy-Kontext zu einem regelrechten No-Budget-Werk. Stars? Fehlanzeige. Und obwohl er sich auf dem Papier anhört wie die Parodie eines Problemfilms – das schwierige Erwachsenwerden eines schwulen Afroamerikaners mit drogenabhängiger Mutter –, definiert er seine Figuren im Unterschied zu den anderen „schwarzen“ Best-Picture-Nominierten dieses Jahres nicht über ihre Hautfarbe, sondern über ihre Menschlichkeit. Insofern bedeutet seine Auszeichnung nicht nur ein Diversitätsstatement, sondern einen Erfolg für das Kino an sich.

Jenkins ist ein feinfühliger Erzähler, dem kleine Gesten und Momentaufnahmen lieber sind als die große Dramakeule. „Moonlight“ ist erst der zweite Langfilm des 37-Jährigen; vor seiner Premiere im September war Jenkins' Name den wenigsten ein Begriff. Die Coming-of-Age-Story handelt von erster Liebe, dem Ringen um sexuelle Identität, widersprüchlichen Sehnsüchten nach Zugehörigkeit und Unabhängigkeit. Drei Kapitel schildern unterschiedliche Lebensalter, Hauptfigur Chiron wird in jedem von einem anderen Schauspieler verkörpert, was aber nie künstlich wirkt. Neben dem Hauptpreis erhielt „Moonlight“ am Sonntag auch einen Drehbuch-Oscar, und Mahershala Ali wurde für seine Performance als sensibler Drogendealer zum besten Nebendarsteller gekürt.

Überraschend war aber nur der Sieg in der Zentralkategorie – das einzige, was man am Oscar-Abend wirklich politisch nennen könnte. Denn die müden Trump-Sticheleien, die überwiegend vagen Aufrufe zu Empathie und Toleranz, selbst das Proteststatement des absenten iranischen Auslandsoscar-Gewinners Asghar Farhadi gegen das (ausgesetzte) Einreiseverbot des US-Präsidenten – nichts davon hatte ernsthaftes Provokationspotenzial. Und das sollte niemanden wundernehmen. Denn was Jimmy Kimmel am Ende der Veranstaltung sagte, um über die Preiskonfusion hinwegzutrösten, ließe sich allen Oscars als Motto voranstellen: „Remember, it's just an award show.“

OSCARS – DIE PREISTRÄGER

Bester Film:„Moonlight“ (Regie: Barry Jenkins)

Beste Regie: Damien Chazelle („La La Land“)

Beste Hauptdarstellerin: Emma Stone („La La Land“)

Bester Hauptdarsteller: Casey Affleck („Manchester by the Sea“)

Beste Nebendarstellerin: Viola Davis („Fences“) Bester Nebendarsteller: Mahershala Ali („Moonlight“)

Bester fremdsprachiger Film: „The Salesman“ (Regie: Asghar Farhadi, Iran)

Bestes Originaldrehbuch: Kenneth Lonergan („Manchester by the Sea“)

Bestes adaptiertes Drehbuch: Barry Jenkins („Moonlight“, Vorlage von Tarell Alvin McCraney)

Beste Kamera: Linus Sandgren („La La Land“) Bester Schnitt: John Gilbert („Hacksaw Ridge“)

Beste Filmmusik: Justin Hurwitz („La La Land“) Bester Filmsong: „City of Stars“ aus „La La Land“ Bester Animationsfilm:„Zootopia“ (Regie: Byron Howard, Rich Moore und Clark Spencer)

Bester Dokumentarfilm: „O. J.: Made in America“ (Regie: Ezra Edelman)

„La La Land“ erhielt insgesamt sechs Oscars (bei 14 Nominierungen – kein Film war in der Geschichte der Oscars öfter nominiert), „Moonlight“ drei (bei acht Nominierungen).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2017)

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