Mineralien des Menschenzeitalters

Bildete sich in einer Kupfermine: Simonkolleit, ein Zink-Korrosionsprodukt Zn5(OH)8Cl2.H20.
Bildete sich in einer Kupfermine: Simonkolleit, ein Zink-Korrosionsprodukt Zn5(OH)8Cl2.H20.(c) RRUFF
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Wir greifen nicht nur in Klima und Artenvielfalt so stark ein, dass wir ein neues Erdzeitalter einläuten – das Anthropozän –, wir tun es auch bei Mineralien und Ähnlichem.

Seit der Erfindung der Landwirtschaft vor 11.000 Jahren baut der Mensch die Erde um, teils mit, teils ganz ohne Absicht. Letzteres ist etwa bei den Treibhausgasen so, bei denen die ersten anthropogenen Schübe vor 5000 bzw. 7000 Jahren kamen, mit CO2 aus Entwaldungen und Methan aus Reisfeldern. Die hatten einen Einfluss auf das Klima, einen geringen im Vergleich mit dem, den die industrielle Revolution brachte. Mit ihr kam auch der große geplante Umbau, heute bewegt der Mensch mehr Material – aus der Erde heraus und in seine Infrastruktur hinein –, als die Natur es mit den mächtigsten Gletschern tut.

Das hat Kosten, der Mensch brachte auch das sechste Massensterben in Gang. Und das bzw. der Klimawandel brachte eine Debatte darüber, ob wir ein neues Erdzeitalter eingeläutet haben, das Anthropozän. Den Begriff machte der Entdecker des Ozonlochs populär, Paul Crutzen, viele folgten ihm, aber die Herren über die Zeit halten sich zurück: Es gibt eine Behörde für Erdzeitalter – die International Commission on Stratigraphy (ICS) –, die wollte 2016 entscheiden, sie vertagte. Das liegt u. a. daran, dass Erdzeitalter geologische Signaturen brauchen, die sich rund um den Erdball finden, etwa die von Iridium, das mit dem Asteroiden kam, der vor 65 Millionen Jahren den Sauriern das Ende brachte, und der Kreidezeit auch.

Für das Anthropozän gibt es nur Kandidaten, von Colaflaschen bis, ernster, zum Fallout der Bombentests der 50er-Jahre. Auch der wird nicht ewig strahlen, man bräuchte Dauerhafteres, Mineralien etwa. Die kamen in der Erdgeschichte in vier Schüben, Geologe Robert Hazen (Carnegie Institution) hat es gezeigt. Insgesamt sind heute 5208 anerkannt – wieder von einer Behörde, sie sitzt bei der International Mineralogical Association (IMA) –, die meisten entstanden, als freier Sauerstoff in die Luft kam.

Nur 208 echte, aber 160.000 ähnliche

Nun läuft der fünfte Schub, er kommt vom Menschen, Hazen hat bilanziert (American Mineralogist 102, S. 595): 208 Mineralien. Nur 208? Das liegt an der Definition der IMA: Mineralien müssen von der Natur gemacht sein, alles Anthropogene scheidet aus, also all das, an das man automatisch denkt, Porzellan oder „Portland“-Zement oder Computerchips oder Laserkristalle. Solche Substanzen sind Legion, in der Inorganic Crystal Structure Database stehen 160.000.

Sie alle sind per definitionem ausgeschlossen. Was bleibt, sind umwegig durch menschliche Aktivitäten entstandene Mineralien, viele finden sich an Wänden von Bergwerken, deren Gestein durch Menschenhand mit der Außenwelt in Berührung kam, in einer Kupfermine in Arizona etwa bildete sich das abgebildete Simonkolleit. Andere überzogen im Lauf der Jahrtausende Kupfergeräte der Ägypter, wieder andere wuchsen rasch auf einem 1885 versunkenen Schiff.

„Diese 208 Mineralien sind grob vier Prozent aller bekannten, aber sie alle kamen in den letzten Tausenden, die meisten in den letzten Hunderten Jahren. Das ist ein unglaubliches, rasches Anwachsen der Vielfalt der Mineralien, wie es das in der Geschichte unseres Planeten nie gegeben hat.“ Das erklärt Hazen und nimmt es als zusätzlichen Beleg dafür, dass wir im Anthropozän leben. Die Vielfalt wird wachsen, rasch, etwa in Müllhalden, in denen viele Materialien erstmals miteinander in Berührung kommen.

Aber als Signatur für die neue Zeit taugen solche Mineralien nicht, sie sind höchst rar. Durchaus geeignet hingegen wären die, die keine sein dürfen und die Hazen deshalb „synthetic mineral-like compounds“ nennt, allen voran der Zement, aus dem die meisten Bauwerke sind, der „Portland“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2017)

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