Kopftuch: "Jede Frau muss selbst entscheiden"

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Lehrerin mit Kopftuch in einer deutschen Schule gestelltes Foto Im sogenannten Kopftuchurteil des(c) imago/epd (imago stock&people)
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Für den ehemaligen Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), Fuat Sanac, ist die erlassene Kopftuch-Empfehlung "kontraproduktiv". Verfassungsminister Drozda sieht "keine Veranlassung, das Islamgesetz zu hinterfragen".

Für den ehemaligen Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), Fuat Sanac, ist die erlassene Kopftuch-Empfehlung "kontraproduktiv". "Wir leben in einer offenen Gesellschaft, jede Frau muss selbst entscheiden, was sie trägt", sagte er am Dienstag im Gespräch auf APA-Anfrage. Der Glaubensgemeinschaft rät er, sich bei den Themen auf die österreichische Gesellschaft zu konzentrieren.

Auch generell sei die derzeit geführte Kopftuch-Debatte ein leidvolles Thema, so Sanac. "Es leiden immer die Frauen darunter, egal, was geschieht", meint er. Niemand dürfe gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, denn "Glaube kommt von Herzen". Der türkischstämmige Theologe war von 2011 bis 2016 Präsident der Glaubensgemeinschaft. Zwar will er sich nicht mehr politisch einmischen, betont er, jedoch seine Meinung als Muslim äußern. Die lautet: "Wir müssen in der Mitte bleiben."

Sanacs Nachfolger als IGGiÖ-Präsident, Ibrahim Olgun, hatte sich in der Debatte um den Text gegen Ratschläge von Außen verwehrt. "Ob und allenfalls wie eine Kopfbedeckung zu tragen ist, fällt in das Zentrum dieser inneren Angelegenheiten", meinte er in einer Stellungnahme. Zudem sei der Text, für den Mufti Mustafa Mullaoglu verantwortlich zeichnet, " in der medialen Aufarbeitung ihres eigentlichen Inhalts beraubt und insofern völlig verkehrt wiedergegeben".

Drozda sieht keinen Anlass für Gesetzesänderung

Verfassungsminister Thomas Drozda (SPÖ) sieht trotz der Kopftuch-Empfehlung "keine Veranlassung, das Islamgesetz zu hinterfragen". Es sei gerade das Integrationsgesetz in Begutachtung, innerhalb der nächsten Wochen werde es zu einem Ergebnis kommen, sagte er im Pressefoyer am Dienstag nach dem Ministerrat. Drozda bezog sich auf den Plan eines "Neutralitätsgebots" für Polizei, Richter und Staatsanwälte, womit das Tragen besonders sichtbarer religiöser Symbole wie Kopftuch untersagt werden soll. "Ich lehne das ganz klar ab", bekräftigte auch Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) am Rande der Regierungssitzung seine Haltung zur Empfehlung der IGGiÖ. Frauen sollten selbstbestimmt entscheiden, ob sie Kopftuch tragen oder nicht.

IGGiÖ-Frauensprecherin: Kopftuch keine "Säule der Religion"

Die Frauensprecherin der IGGiÖ, Carla Amina Baghajati, sieht kein Dogma, welches das Tragen eines Kopftuchs vorschreibt. "Das Kopftuch ist keine 'Säule' der Religion", meinte sie in einem Text zum bevorstehenden Frauentag, welcher der APA vorliegt. Von einem "Gebot" zu sprechen, bezeichnete sie als "problematisch".

"Ausgerechnet zum Frauentag bekommen wir das zweifelhafte Geschenk einer weiteren Runde im Hamsterrad der Kopftuchdebatte", machte sich Baghajati Luft. Diskurse seien dann sinnvoll, wenn sie einen Erkenntnisgewinn bringen. Musliminnen seien vor allem selbst gefragt, "die Deutungshoheit darüber, was sie anziehen oder nicht anziehen bei sich selbst zu halten. Und die simple Gleichung 'muslimische Frau = Kopftuch' nicht mitzuspielen - egal ob sie von innen oder außen kommt".

Aus religiöser Sicht ist laut der IGGiÖ-Frauensprecherin das Kopftuch kein Symbol, "sondern schlicht und einfach ein Kleidungsstück". Es habe nichts "Heiliges" und sei ausgezogen ein Gebrauchsgegenstand, der auch keinerlei respektvolle Umgangsweise verlange. Im Koran werde das Kopftuch zudem nur an zwei Stellen und zeitlich relativ spät thematisiert. "Aus den beiden genannten Versen eine Grundlage der Religion machen zu wollen, ist schon von daher verfehlt", findet Baghajati.

"Kopftuchtragen hat im Islam nicht den Stellenwert eines Dogmas oder einer Doktrin", hält Baghajati fest. Kleidung dürfe zudem nicht als "reine Selbstinszenierung" verstanden werden, sondern müsse mit einer inneren Haltung verbunden werden. "Schlicht und einfach ist das Kopftuchtragen ein Teil der Glaubenspraxis. Und wenn eine muslimische Frau es aus dem einen oder anderen Grund nicht trägt, ist das allein ihre Sache, und sie kann auch so eine gute Muslimin sein", meint sie weiter.

In der derzeitigen Kopftuch-Debatte, die politisch von Verbotsgedanken dominiert werde, gebe es "eine nicht unberechtigte Scheu davor, solche 'liberalen' Positionen öffentlich zu machen", merkt Baghajati an, "denn "sie sollen nicht missbraucht werden, um kopftuchtragenden Frauen auszurichten, sie 'dürften' ihr Tuch ja auch ablegen". Hier stimmt sie dem IGGiÖ-Präsidenten Ibrahim Olgun zu, dass die Auslegung der Religion eine innere Angelegenheit sei und keine Sache der Politik.

Die Problematik zeigt für Baghajati auch, "wie sehr der derzeitig grassierende Populismus es erschwert, eine differenzierende Stimme der Vernunft einzubringen, die statt der Zuspitzung auf ein 'entweder - oder' für ein 'sowohl als auch' plädiert". Ihr Wunsch an den innermuslimischen Diskurs: "Ja, Fatwas könnten muslimische Frauen auch brauchen. Aber bitte zu den Dingen, wo wir wirklich eine Rückenstärkung für unsere kontextorientierte Argumentation brauchen: Gegen Gewalt an Frauen zum Beispiel."

(APA)

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