Keine Einreisevisa für Flüchtlinge

Wer in der EU um Asyl ansuchen will, muss sich in die Hände von Schleppern begeben, um illegal nach Europa zu reisen. Daran wird sich vorläufig nichts ändern.
Wer in der EU um Asyl ansuchen will, muss sich in die Hände von Schleppern begeben, um illegal nach Europa zu reisen. Daran wird sich vorläufig nichts ändern.(c) APA/AFP/ARIS MESSINIS
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Der europäische Gerichtshof weist die Klage einer syrischen Familie ab: EU-Mitglieder seien nicht dazu verpflichtet, in ihren Botschaften humanitäre Visa auszugeben.

Luxemburg. Es kommt relativ selten vor, dass die Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH) den Ausführungen ihres Generalanwalts nicht folgen. Am gestrigen Dienstag war es in der Rechtssache C-638/16 so weit: Die Luxemburger Höchstrichter urteilten entgegen der Empfehlung des Generalanwalts Paolo Mengozzi und entschieden, dass EU-Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet seien, Flüchtlingen humanitäre Visa auszustellen, damit diese in die EU einreisen und vor Ort Asyl beantragen könnten.

Anlassfall war ein Rechtsstreit zwischen dem belgischen Staat und einer syrischen Familie. Eine Familie aus dem umkämpften Aleppo hatte im vergangenen Jahr in der belgischen Botschaft in Beirut humanitäre Visa beantragt, um in Belgien um Asyl ansuchen zu können. Als die belgischen Behörden ablehnten, landete die Causa vor Gericht – und wurde schlussendlich nach Luxemburg weitergereicht.

Das Hauptargument der Behörden: Belgien könne nicht dazu gezwungen werden, allen Menschen, die weltweit eine katastrophale Situation durchleben, Schutz zu gewähren. In seinem Gutachten im Februar wollte Mengozzi diese Argumentationslinie nicht gelten lassen: Da die Visavergabe durch den Asylkodex der EU geregelt werde, gelte in diesem Zusammenhang die Grundrechtecharta der EU, die das Recht auf Asyl festschreibt und entwürdigende Behandlung verbietet, schrieb der EuGH-Generalanwalt in seinem Gutachten.

EU-Asylkodex gilt nicht

Die Luxemburger Richter teilten diese Sicht der Dinge nicht. Die Berufung auf den EU-Asylkodex sei unzulässig, da dieser Aufenthalte von höchstens 90 Tagen festlege. „Die syrische Familie stellte ihre Anträge auf Visa aus humanitären Gründen aber in der Absicht, in Belgien Asyl und somit einen nicht auf 90 Tage beschränkten Aufenthaltstitel zu beantragen“, heißt es in dem Urteil. Weiters weist der EuGH darauf hin, dass eine EU-weit vorgeschriebene Vergabe humanitärer Visa „die allgemeine Systematik des Systems beeinträchtigen würde, das die Union zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats geschaffen hat“. Derzeit gilt in der EU-Asylpolitik das sogenannte Dublin-Prinzip, wonach der erste Mitgliedstaat, der von einem Flüchtling betreten wird, für dessen Asylverfahren zuständig ist. Laut EuGH würde eine humanitäre Visapflicht die gesamte Asylpolitik der Union infrage stellen – weil sich Flüchtlinge aussuchen könnten, in welcher europäischen Botschaft sie ihre Visa beantragen. Somit bleibt die Visumvergabe weiterhin nationale Angelegenheit.

Befürworter einer Reform argumentieren damit, dass die bisherige Praxis Flüchtlinge dazu zwinge, sich in die Hände von Schleppern zu begeben, um illegal nach Europa zu gelangen. Sonst hätten sie keine Möglichkeit, um Asyl anzusuchen. EU-weit wird derzeit über Auswege aus diesem Dilemma diskutiert. Eine Möglichkeit wäre die Einrichtung von Asylzentren außerhalb der EU, in denen Asylberechtigte in spe ihre Anträge stellen könnten. Das wäre eine Rückkehr zum Prinzip des sogenannten Botschaftsasyls, das in Österreich im Jahr 2001 abgeschafft wurde. Davor konnten Verfolgte in einer der diplomatischen Vertretungen in der Nähe ihrer Heimat um Schutz vor Verfolgung ansuchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2017)

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