Feuilleton

Im Kampf gegen die Feinde des Volks

Staatliches Russisches Museum, St. Petersburg.
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Kaum ein politischer Begriff ist so toxisch wie „Volksfeind“: Über Trumps „enemy of the American People“ und seine Vorgänger, vom „hostis populi“ im Alten Rom bis zu den „public enemies“ im amerikanischen Gangsterfilm.

Die Regierungsloge im Bolschoi-Theater von Moskau war an jenem Abend, dem 26. Jänner 1936, prominent besetzt, Stalin selbst saß hinter einem Vorhang. Man sah die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, Dmitri Schostakowitsch hatte mit der wilden Geschichte bereits zwei Jahre lang große Erfolge gefeiert. Doch die Loge des Diktators war schon vor dem Ende der Aufführung leer, der Komponist wurde nicht wie üblich empfangen. Zwei Tage danach erschien in der „Prawda“ die Kritik: Die unpolitische und chaotische Oper kitzle mit ihrer zappeligen neurotischen Musik den perversen Geschmack der Bourgeoisie.

Es war eine Grundsatzerklärung von höchster Stelle, vermutlich von Stalin selbst. Schostakowitsch war ab diesem Tag in allen Zeitungen der „Volksfeind“. Der Londoner Autor Julian Barnes zeigt in seinem neuen Roman „Der Lärm der Zeit“, wie dieser „Volksfeind“, voll von Ekel über sich selbst, voll von Gewissensbissen, allmählich einknickt und sich ein Leben lang vom Sowjetregime vereinnahmen lässt, bis er schließlich sogar zum Vorsitzenden des Komponistenverbandes hochgelobt wird. Es bedarf keiner Schuldzuweisung, die Selbstanklage wird dem Komponisten überlassen. „Indem sie ihn leben ließen, hatten sie ihn umgebracht.“
Seit den Zwanzigerjahren bereits unterminierte in der sowjetischen Propaganda der innere „Schädling“, der „Volksfeind“ als Agent ausländischer Mächte den Aufbau des Landes. Durch Schauprozesse und orchestrierte öffentliche Kampagnen wurden die „Volksfeinde“ an den Pranger gestellt, als „Spione“, „Terroristen“, Saboteure des „Großen Plans“. „Die Kunst des totalitären Führers besteht darin, in der erfahrbaren Realität geeignete Elemente für seine Fiktion herauszufinden und sie so zu verwenden, dass sie fortan von allen überprüfbaren Erfahrungen getrennt bleiben“, so Hannah Arendt.

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