Juristen und Unternehmer leben auf verschiedenen Sternen

Für die Juristin Barbara Dauner- Lieb ist völlig klar, weshalb sich Juristen mit Unsicherheit so plagen. „Unser höchster Wert ist Rechtssicherheit.“
Für die Juristin Barbara Dauner- Lieb ist völlig klar, weshalb sich Juristen mit Unsicherheit so plagen. „Unser höchster Wert ist Rechtssicherheit.“(c) Elena Azzalini
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Unternehmer und Juristen leben auf verschiedenen Sternen, sagt die deutsche Professorin Barbara Dauner-Lieb. Unternehmer reagieren auf Unsicherheit mit Strategien, Juristen antworten darauf mit einer Fülle neuer Regeln. Der falsche Weg, findet die Juristin.

Wien. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass es zum Brexit kommen könnte, Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten oder die Digitalisierung die Spielregeln im Geschäfts- und Privatleben unfassbar schnell verändern wird? Kaum jemand. Sicher ist, dass wir alle unsicher sind, wie sich die Welt in den nächsten Jahren verändern wird.

Unternehmer müssen sich, wollen sie auch künftig erfolgreich sein, mit dem dauernden Wandel befassen. Aber wie reagieren Juristen auf Ungewissheit? Wie kommen sie mit Unsicherheit zurecht? „Juristen und Unternehmer leben – auch wenn sie dauernd miteinander arbeiten und dringend aufeinander angewiesen sind – auf verschiedenen Sternen“, sagt Barbara Dauner-Lieb, Juristin und Professorin an der Uni Köln, vergangene Woche bei ihrem Vortrag an der WU Wien. „Zwar verstehen gute Unternehmensjuristen, wie ein Unternehmen funktioniert. Und Unternehmer wissen auch, dass Juristen nicht nur Bremser und Langweiler sind – dennoch: Ungewissheit ist für den Juristen ein sperriges Thema.“ Dauner-Lieb hat dafür auch eine Erklärung: Der allerhöchste Wert für einen Juristen hieße nun einmal Rechtssicherheit. „Die Kunst des Juristen ist es, Sicherheit zu schaffen. Und genau das wird auch von uns erwartet.“

Wie wahr: Der Anwalt, der von seinem Mandanten nach einer juristischen Einschätzung gefragt wird, macht sich mit der Antwort „Na, so genau weiß ich das nicht“ höchst unbeliebt. Dabei wäre das in den meisten Fällen die ehrlichste Antwort. Dauner-Lieb: „Wie ein Gericht wirklich entscheidet, weiß man nie. Wir haben eine hohe Rechtsunsicherheit.“

Jurist glaubt an Gut und Böse

Dabei werde Studierenden schon auf der Uni eingetrichtert, dass es Regeln gibt und es die Juristen seien, die Gut und Böse auseinanderhalten können. „Wenn etwas schief gelaufen ist, glauben wir Juristen immer, wir wüssten, wie es richtig gegangen wäre, hätte man bloß die Regeln eingehalten. Doch diesen Dauer-Bias sollte sich jeder Jurist schleunigst abtrainieren, wenn er mit Unternehmern sinnvoll arbeiten will.“ Doch Dauner-Lieb geht noch viel weiter: Auch in den akademischen Unterricht müsse einfließen, dass man mit bestimmten juristischen Kategorien heute einfach nicht mehr zurechtkommt. Dazu gehörten auch Themen, die Juristen zentral beschäftigen, wie Haftung, Compliance und die Business Judgement Rule.

Die Business Judgement Rule ist in Österreich seit 1. Jänner 2016 gesetzlich verankert. Die aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammende Regel versucht, insbesondere die Haftung von Geschäftsführern einer GmbH und Vorstandsmitgliedern einer AG auf ein vernünftiges Maß einzuschränken. Sie müssen für ihre Entscheidungen nicht haften, sofern sie sich dabei nicht von sachfremden Interessen leiten ließen und nach angemessener Information annehmen konnten, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

Vieles ist nicht berechenbar

Für Dauner-Lieb geht diese Regel jedoch an der Realität vorbei. Ein Unternehmen müsse heute so gut wie immer mit Situationen leben, in denen es nichts zu berechnen gebe und man trotzdem rasch entscheiden müsse, sagt sie. „Genau das ist für den Juristen nicht einfach. Er glaubt tief im Inneren, wenn man sich nur lange genug mit einer Sache befasst und Expertenrat eingeholt hat, dann hat man irgendwann festen Boden unter den Füßen. Das war jedoch immer schon eine Illusion.“ Es sei hoch an der Zeit, dass sich der Jurist von dem Gedanken trennt, jedes Risiko sei etwas Unangenehmes und vermeidbar. Und vielleicht auch von der Business Judgement Rule: „Sie funktioniert so nicht und ist gefährlich, weil sie nur zur Verrechtlichung führt“, sagt Dauner-Lieb.

Geht es nach ihr, müssten sich Juristen auch von diversen alten Verhaltensmustern trennen und viel flexibler werden: „Der Jurist reagiert momentan auf Unsicherheit – getrieben von der Politik – immer mit Regulierung.“ Bestes Beispiel dafür sei die Finanzkrise. Ein Wust an neuen Gesetzen sollte wieder Struktur ins Ungewisse bringen. Doch hinter diesem Vorgehen stehe nichts anderes als die gefährliche Illusion, der Jurist könne mit besseren Rahmenbedingungen die Welt wieder in Ordnung bringen. „Ob das funktioniert, da habe ich meine Zweifel“, sagt die Rechtswissenschaftlerin. Das zeigten auch die überbordenden Compliance-Regeln, mit denen heute jedes Unternehmen zu kämpfen habe. Freilich gehe es nicht darum, Bestechung zu verharmlosen. Es gehe um Kleinkram wie: Darf eine Sekretärin einen Blumenstrauß annehmen? Auch Compliance im Kapitalmarktrecht sei so kompliziert, dass sich niemand mehr auskenne und dass es Ressourcen von Vorständen und Aufsichtsräten binde.

Diese Lektion habe der Jurist einfach noch zu lernen, sagt Dauner-Lieb: „Ohne Ungewissheit ist unternehmerische Tätigkeit nicht zu haben. Die Vorstellung, alles regeln zu können, funktioniert nicht.“

ZUR PERSON

Barbara Dauner-Lieb war sowohl als Rechtsanwältin als auch als Leiterin einer AG tätig. Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht an der Uni Köln. Von 2002 bis 2007 war sie nebenamtlich Richterin am Oberlandesgericht Köln. Seit 2015 ist sie Mitglied des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2017)


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