Der niederländische Botschafter darf nicht zurück in die Türkei reisen. Auch der Flüchtlingspakt mit der EU könnte "überprüft" werden, sagt der türkische Europaminister.
Nach dem Streit um den verhinderten Auftritt türkischer Minister in den Niederlanden geht Ankara nun den nächsten Schritt: Der niederländische Botschafter - er hält sich derzeit nicht in der Türkei auf - dürfe vorerst nicht in die Türkei zurückkehren, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmus Montagabend. Zudem entzieht das Land allen niederländischen Diplomaten die Landeerlaubnis. Der Luftraum für Maschinen mit Diplomaten aus dem Land sei ab sofort gesperrt, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Kurtulmus. Gespräche auf höherer Ebene würden zudem bis auf weiteres ausgesetzt.
Die Türkei und mehrere EU-Staaten streiten sich über Auftritte türkischer Politiker in Europa vor dem Präsidentschaftsreferendum. Nach Anfeindungen aus Ankara hatten die Niederlande am Wochenende Auftritte des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu und der Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya in Rotterdam verhindert. Die de facto Ausweisung des niederländischen Botschafters ist die nächste Stufe der diplomatischen Eskalation
Flüchtlingspakt "überprüfen"
Auch auf anderen Ebenen verschärfte sich der Konflikt zwischen Europa und der Türkei. Der türkische Europaminister hat sich einem Medienbericht zufolge für eine Überprüfung des Flüchtlingsabkommens mit der Europäischen Union ausgesprochen. Die staatliche Agentur Anadolu zitierte Minister Ömer Celik am Montag mit den Worten, jener Teil des Abkommens, der die Landpassage von Flüchtlingen betreffe, sollte überdacht werden.
Celik stellte klar, dass die Abriegelung der Fluchtroute durch die Ägäis bestehen bleiben solle, weil die Überfahrt für die Flüchtlinge zu gefährlich sei. Das im März 2016 zwischen EU und Türkei vereinbarte Flüchtlingsabkommen sieht vor, dass Ankara alle auf den griechischen Inseln eintreffenden Flüchtlinge zurücknimmt. Für jeden so abgeschobenen Syrer soll die EU einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen. Außerdem sagte die EU Milliarden-Zahlungen für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu. Das Abkommen enthält auch eine Klausel, in der sich die Türkei verpflichtet, das Entstehen "neuer Migrationsrouten" über See oder Land zu unterbinden. Die Flüchtlingsbewegung über die Türkei Richtung Westeuropa kam seit der Umsetzung des Abkommens weitgehend zum Erliegen.
Celik beschuldigte die Niederlande "neofaschistischer Praktiken". Die niederländische Regierung habe ein "Verbrechen" begangen und gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen. "Hier fällt allen Demokraten, Fortschrittlichen und Liberalen Europas eine große Aufgabe zu. Sie müssen ihre Stimme vor allem gegenüber diesen neofaschistischen Praktiken in Holland erheben."
Solidarität innerhalb der EU
Während sich die EU-Kommission bemühte, die Auseinandersetzung mit der Türkei in einem ruhigeren Licht darzustellen, kommen aus mehreren EU-Ländern klare Worte in Richtung Türkei. Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault hat den Nazi-Vorwurf des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Richtung Niederlande kritisiert. Das sei "inakzeptabel", sagt Ayrault am Montag auf einer Pressekonferenz mit seinem schwedischen Kollegen in Stockholm.
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte, es werde keine Verhandlungen vor dem Hintergrund von Drohungen der türkischen Regierung geben. Dass die Türkei die Wahlen in den Niederlanden habe beeinflussen wollen, glaube er nicht.
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sicherte den Niederlanden ihre "volle Unterstützung und Solidarität" zu. Die Kanzlerin kritisierte insbesondere Äußerungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der niederländische Regierungsmitglieder als "Nazi-Überbleibsel" bezeichnet hatte. Nazi-Vergleiche führten "völlig in die Irre", sagte Merkel am Montag in München.
Nach Anfeindungen aus Ankara hatten die Niederlande am Wochenende Auftritte des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu und der Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya in Rotterdam verhindert.
EU-Kommission will Eskalation verhindern
Die EU-Kommission hat die Türkei aufgefordert, von "exzessiven Aussagen und Aktionen" gegenüber Mitgliedsstaaten der Europäischen Union abzusehen.
"Die Europäische Union ruft die Türkei auf, auf überzogene Aussagen und Handlungen zu verzichten, die die Lage weiter zu verschlimmern drohen", erklärten EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn und die Außenbeauftragte Federica Mogherini am Montag in Brüssel.
Es gehe darum, eine "weitere Verschärfung der Situation vermeiden", sagte ein Kommissionssprecher. Die Entscheidung über türkische Wahlkampfauftritte obliege jedem einzelnen EU-Staat.
Die Stimmung sollte sich wieder beruhigen. Auf Fragen einiger türkischer Journalisten meinte der Sprecher, die EU sei stolz auf ihre Meinungsfreiheit. Angesichts von abgesagten türkischen Wahlkampfauftritten sehe die Brüsseler Behörde keinen Auftrag zu sagen, wie die Länder dies gestalten sollten. Die EU sei jedenfalls dafür, weiter gute Beziehungen mit der Türkei zu haben.
(APA/Reuters/dpa)