Ausnahmeregelung für Prag - Weg zum EU-Vertrag frei

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Die 27 EU-Staaten haben sich auf eine von Vaclav Klaus geforderte Ausnahmeregelung von der EU-Grundrechtecharta geeinigt und damit eine große Hürde für den Lissabon-Vertrag beseitigt. Das Wort „Benes-Dekrete“ kommt nicht vor.

BRÜSSEL. Mit einer Ausnahmeregelung wird es Tschechiens Präsident Václav Klaus erleichtert, doch noch den EU-Vertrag von Lissabon zu unterschreiben. Und zwar, ohne dass das Wort „Benes-Dekrete“ vorkommt, obwohl es um sie geht. Dieser Durchbruch wurde Donnerstagabend beim EU-Gipfel in Brüssel erzielt.

Konkret erhalten die Tschechen nach dem Kompromiss unter den europäischen Regierungschefs eine Zusage zum Lissabon-Vertrag, wonach sie sich zu einem späteren Zeitpunkt – etwa bei einer EU-Erweiterung um Kroatien – wie die Polen und die Briten von der EU-Grundrechtscharta ausnehmen können, die mit dem Lissabon-Vertrag in Kraft träte.

Die Charta sieht unter anderem neue Regelungen fürs Streikrecht vor. Klaus lehnt sie ab, weil er befürchtet, mit dem Vertrag könnten auch die „Benes-Dekrete“ außer Kraft gesetzt werden. Doch viele tschechische und österreichische Nationalisten übersehen, dass der EU-Vertrag gar keine Grundlage dafür liefert, die Enteignung hunderttausender Sudetendeutscher nach dem Zweiten Weltkrieg rückgängig zu machen oder diese zu entschädigen.

Zehn der 143 Dekrete, mit denen der tschechoslowakische Präsident Edvard Beneš regierte, haben die Enteignung und Entrechtung Deutscher und Ungarn in der Tschechoslowakei zum Inhalt. Hinzu tritt ein Amnestiegesetz aus 1946, das alle zwischen 30. 9. und 28. 10. 1945 verübten Gewaltakte gegen diese Ethnien als „gerechte Vergeltung für die Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer“ straffrei stellt.

Präsident Václav Klaus soll bereits signalisiert haben, dank der neuen Ausnahmemöglichkeit für sein Land den EU-Vertrag rasch – etwa im November – zu unterzeichnen, wie SPÖ-Kanzler Werner Faymann Donnerstagabend in Brüssel sagte. Er und andere Regierungschefs rechnen mit Inkrafttreten des Vertrags im nächsten Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30. 10. 2009)

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