"Wir kennen die Holländer noch vom Massaker von Srebrenica", sagt der türkische Präsident Erdogan. Der niederländische Premier nennt das "widerliche Geschichtsverfälschung".
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat den Niederlanden im Streit um die Auftrittsverbote seiner Minister das Massaker im bosnischen Srebrenica angelastet. "Wir kennen Holland und die Holländer noch vom Massaker von Srebrenica", sagte Erdogan am Dienstag bei einer Veranstaltung in Ankara.
"Wie verdorben ihre Natur und ihr Charakter ist, wissen wir daher, dass sie dort 8000 Bosniaken ermordet haben." Erdogan fügte hinzu: "Niemand soll uns Lektionen in Zivilisation geben. Dieses Volk hat ein reines Gewissen. Aber deren Gewissen ist pechschwarz."
Erdogan warf in seiner Rede den Niederlanden auch "Staatsterrorismus" vor und kündigte weitere Sanktionen an. Das türkische Außenministerium hatte zuvor angekündigt, alle bilateralen Begegnungen ab Ministerebene bis auf weiteres auszusetzen.
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte die Vorwürfe als "widerliche Geschichtsverfälschung" zurückgewiesen. Das sei inakzeptabel und unerträglich, sagte Rutte am Dienstag im niederländischen Fernsehen.
Niederländische Blauhelme waren abgezogen
Tatsächlich hatten das Massaker in Srebrenica 1995 bosnisch-serbische Truppen verübt. Niederländische Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen hatten den Angreifern die Stadt zuvor allerdings kampflos überlassen. Bei dem Massaker an Männern und Burschen handelte es sich um den schlimmsten Völkermord nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa.
Strafrechtliche Folgen für den damaligen UN-Kommandanten Thom Karremans hatte der Völkermord in Srebrenica keine. Die niederländischen Behörden hätten in dem Fall ausreichend ermittelt, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im September des Vorjahres in Straßburg.
Auch die Entscheidung der Strafverfolger, den Niederländer nicht wegen Beihilfe zum Völkermord anzuklagen, sei gerechtfertigt gewesen. Die Hinterbliebenen von drei Opfern hatten sich gegen diese Entscheidung gewehrt.
Merkel-Sprecher: "Wettlauf der Provokationen"
Erdogan attackierte am Dienstag auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel erneut verbal. Merkel sei nicht anders als die Niederlande, kritisierte Erdogan am Dienstag in Ankara. Sie greife die Türkei an, wie die Polizei in Rotterdam türkische Demonstranten mit Hunden und Wasserwerfern angegriffen habe.
Merkel ließ die Vorwürfe, die die Türkei immer wieder gegen Deutschland erhebt, an sich abperlen. "Die Bundeskanzlerin hat nicht die Absicht, sich am Wettlauf der Provokationen zu beteiligen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert schon am Montagabend. "Sie macht das nicht mit. Die Vorwürfe sind erkennbar abwegig." In einer Rede am Dienstag in Berlin ging Merkel dann auch nicht auf das Thema Türkei ein.
Erdogan hatte Merkel am Montagabend "Unterstützung von Terroristen" unterstellt. Erdogan warf den deutschen Behörden vor, auf Informationen der Türkei zu 4500 "Terrorverdächtigen" nicht zu reagieren.
Es gebe eine solche Liste mit Terrorverdächtigen aus der Türkei nicht, sagte de Maizière dazu. Der Bundesregierung sei jeder gerichtsverwertbare Hinweis auf mutmaßliche Terroristen von den türkischen Behörden willkommen, sie brauche aber "keine Nachhilfe" der Regierung in Ankara.
McAllister: "Von Missständen ablenken"
Auch der Vorsitzende des Außenausschusses im Europaparlament, der Deutsche David McAllister, hat die EU-Regierungen zur Besonnenheit ermahnt. Erdogans Werben für die Einführung eines Präsidialsystems diene auch dazu, "von Missständen in seinem eigenen Land abzulenken", sagte McAllister der Nachrichtenagentur AFP am Dienstag. "Eine weitere Eskalation würde ihm da in die Hände spielen."
"Die Niederlande oder Deutschland mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen, überschreitet nicht nur jedes Maß, sondern relativiert auch in unerträglicher Weise die nationalsozialistischen Verbrechen", sagte McAllister. Die Europäer dürften sich dadurch aber nicht provozieren lassen. "Wir sollten Herrn Erdogan nicht in eine Opferrolle hineintreiben, die er für seine politischen Zwecke in der Türkei braucht."
Mit Blick auf Forderungen aus der EU, die milliardenschweren Heranführungshilfen für den Beitrittskandidaten Türkei zu streichen, sagte McAllister, die EU investiere diese Finanzhilfen bereits "vermehrt in Programme, die Rechtsstaatlichkeit, Demokratieentwicklung und die Zivilgesellschaft stärken sollen". Solange in diesen Bereichen "dauerhaft keine Fortschritte erzielt werden, sollten wir sie einfrieren".
(APA/dpa)