Niederlande: Türkei-Effekt entscheidet die Wahl

Freundlich lächelnd ging Mark Rutte in die Wahl. Gegen Erdoğan und Geert Wilders trat der Premier indes entschlossen auf.
Freundlich lächelnd ging Mark Rutte in die Wahl. Gegen Erdoğan und Geert Wilders trat der Premier indes entschlossen auf.(c) REUTERS (YVES HERMAN)
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Premier Rutte und Herausforderer Wilders profitieren von der Eiszeit mit Ankara. Der eine steht für kühlen Kopf und entschlossenes Auftreten, der andere für hitzige Polemik.

Wien/Den Haag. Als Hobbypianist beherrscht Mark Rutte alle Stimmlagen auf der politischen Klaviatur. Nach dem turbulenten Wochenende, an dem sich die diplomatische Krise mit der Türkei um Auftrittsverbote für Minister hochgeschaukelt und in einer Straßenschlacht vor dem türkischen Konsulat in Rotterdam entladen hatte, mahnte der niederländische Premier, kühlen Kopf zu bewahren.

Deeskalation lautet seine Devise. Die Eiszeit mit Ankara, die diplomatischen Sanktionen der Türkei gegenüber der Regierung in Den Haag und dem niederländischen Botschafter – alles nicht so schlimm, so das Motto des Premiers. Die wirtschaftlichen Beziehungen, insinuiert er, seien davon ja unberührt. Seinen türkischen Amtskollegen, Binali Yildirim, lud Rutte sogar zu einem Versöhnungsessen nach Den Haag.

Amtsbonus für Rutte

Da redete der pragmatische Ministerpräsident einer Handelsnation, um im Nachsatz indes eine Entschuldigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan für seine Holzhammer-Rhetorik einzufordern. Erdoğans Nazi-Vergleich gegen das Nazi-Opfer Niederlande verschlug vielen Holländern die Sprache. Dessen Vorwurf, niederländische Blauhelmsoldaten seien für den Völkermord an bosnischen Muslimen während des Bosnien-Kriegs 1995 in Srebrenica verantwortlich, schmetterte Rutte als „widerliche Geschichtsverfälschung“ ab. „Absurd“, „bizarr“, „unerträglich“: Der Premier spricht seinen Landsleuten aus der Seele.

Die rigorose Haltung des Regierungschefs macht sich bezahlt, er profitiert vom Amtsbonus. Vor der Parlamentswahl am Mittwoch in den Niederlanden signalisieren letzte Blitzumfragen einen Aufwind für Rutte – und vermutlich auch für seinen Herausforderer, den Rechtspopulisten Geert Wilders.

Die große Mehrheit der Wähler und der Parteien unterstützt den Kurs Ruttes in der Türkei-Krise, die Niederländer scharen sich um den „Landesvater“ mit der jugendlichen Aura. Wie zuletzt beim mutmaßlichen Abschuss des Passagierflugzeugs der Malaysia-Airlines (MH 17) im Juli 2014 über der Ostukraine, bei dem 193 Niederländer ihr Leben ließen, rückt die Nation zusammen – vereint gegen einen „gefährlichen Diktator“, wie der Schriftsteller Arnon Grünberg den türkischen Staatschef in seiner Kolumne für die Zeitung „Volkskrant“ apostrophiert. „Wir sind hier der Boss“, brachte der „Telegraaf“ die Stimmung im Land auf den Punkt.

Zum Auftakt eines Wahljahrs in Europa ist die Niederlande-Wahl ein Stimmungsbarometer für die Urnengänge in wichtigen EU-Staaten, in Frankreich, Deutschland und womöglich auch in Italien. Die Wahl werde ein „Signal an den Rest der Welt“ senden, erklärte Rutte in einer Pressekonferenz, in der der notorische Optimist den Mahner und Staatsmann hervorkehrte.

Wilders-Dompteur

Er richtete einen Appell an die Wähler, den „falschen Populismus“ zu stoppen. Und in seinem Mobilisierungsversuch warnte er sie davor, Donnerstagfrüh wie nach dem Brexit und der Wahl Donald Trumps mit einem Katzenjammer aufzuwachen: „Wir dachten alle, das würde nie passieren.“

Im TV-Duell, einem halbstündigen, heftigen Schlagabtausch am Montagabend, stilisierte sich Rutte zum Wilders-Dompteur. Gegen die Attacken seines Kontrahenten – „Sie lassen sich von Erdoğan zur Geisel nehmen“ – und dessen radikale Parolen gegen den Islam setzte er eine entwaffnende Replik: „Es ist etwas anderes, ob man auf dem Sofa sitzt und twittert oder ob man ein Land regiert.“ Für den Fall eines „Nexit“, eines EU-Austritts, warf Rutte ihm vor, das Land in Chaos und Massenarbeitslosigkeit zu stürzen. Und als es am Ende um die Frage der Fragen ging, um eine Beteiligung der Freiheitspartei Wilders an einer Koalition, holte Rutte gleichsam zum K.o. aus: „Heute nicht, morgen nicht, nie.“

28 Parteien – darunter Newcomer wie die Migrantenpartei Denk – bewerben sich heute um die Stimmen, und die Fragmentalisierung des Parteiensystems wird eher zunehmen. An den Wahlsieg vor vier Jahren wird Ruttes Volkspartei kaum anknüpfen können. Als Achtungserfolg muss schon gelten, als Erster ins Ziel zu kommen, Wilders klar hinter sich zu lassen und daraus den Anspruch als Regierungschef einer Koalition abzuleiten.

AUF EINEN BLICK

Niederlande-Wahl. In Meinungsumfragen lag die Volkspartei des Premiers Rutte bei 18 Prozent, gefolgt von der Freiheitspartei Wilders mit 16 Prozent. 2012 holte die Volkspartei fast 27 Prozent, die Freiheitspartei zehn Prozent. Ruttes Koalitionspartner, der Arbeiterpartei (24 Prozent), wird ein Absturz prophezeit. Dazugewinnen könnten Christdemokraten und Grüne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2017)

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