Der Staatschef will Einfluss der in Europa lebenden Türken ausweiten. Innenminister droht damit, „Zehntausende Flüchtlinge“ nach Europa zu schicken.
Istanbul/Berlin. Im Streit zwischen der Türkei und mehreren EU-Staaten gibt es immer skurrilere Wortmeldungen. Jetzt hat Präsident Recep Tayip Erdoğan die in Europa lebenden Türken aufgefordert, ihren Einfluss auszubauen und mehr Kinder zu zeugen. „Macht nicht drei, sondern fünf Kinder“, sagte der Staatschef bei einer Wahlkampfveranstaltung in Richtung der EU-Türken. „Da, wo ihr arbeitet und lebt, ist nun eure Heimat. Gründet noch mehr Betriebe, schickt eure Kinder in bessere Schulen.“
Indessen hat ein weiterer Politiker der EU mit der Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens gedroht. Innenminister Süleyman Soylu sagte: „Wenn ihr wollt, schicken wir euch die 15.000 Flüchtlinge, die wir jeden Monat zurückhalten.“ Die deutsche Bundesregierung zeigte sich jedoch unbeeindruckt von den türkischen Drohungen. „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass die Türkei dieses Abkommen ausgesetzt hat“, sagte Vizeregierungssprecher Georg Streiter. Die Vereinbarung sei ein „gemeinsamer Erfolg“, deren Umsetzung „im Interesse aller Beteiligten“ liege.
Der deutsche Innenminister, Thomas de Maizière (CDU), machte klar, dass er nicht um das Abkommen betteln werde. „Es gibt viele Äußerungen von türkischer Seite. Da wird versucht, dass wir in irgendeiner Weise um dieses Abkommen betteln – aber das wird nicht geschehen.“
Der am 18. März2016 geschlossene Flüchtlingspakt sieht vor, dass die Türkei alle Flüchtlinge zurücknimmt, die auf die griechischen Ägäis-Inseln kommen. Im Gegenzug versprach die EU hohe finanzielle Unterstützung sowie die Aufnahme eines syrischen Flüchtlings für jeden Syrer, der im Rahmen der Vereinbarung in die Türkei zurückgeschickt wird.
Ob eine Aufkündigung des Flüchtlingspakts durch die Türkei wieder zu steigenden Migrantenzahlen führen würde, gilt als unsicher. Viele Experten und auch Politiker sind der Meinung, dass vor allem das Schließen der sogenannten Balkanroute in Richtung Westeuropa zum Rückgang der Zahlen geführt hat. Die Abriegelung sorgt bis heute dafür, dass es nur noch wenige Migranten schaffen, von Griechenland weiter in ihre Zielländer in Westeuropa zu kommen.
Serbien will jedenfalls kein Risiko eingehen. Laut einem Zeitungsbericht bereite sich Belgrad auf einen neuen Flüchtlingsstrom vor. In so einem Fall würden an den Grenzen starke Militäreinheiten zum Einsatz kommen; diese würden befugt sein, im Notfall Waffen einzusetzen.
Appell an Wien und Ankara
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Österreich und die Türkei am Freitag dazu aufgerufen, den Konflikt um die türkische Blockade von Nato-Kooperationsprogrammen mit Österreich zu lösen. Stoltenberg sagte am Rande eines Besuchs in Dänemark: „Wir fordern sie (Österreich und Türkei; Anm.)dringend auf, den Konflikt zu lösen, damit dieser keine negativen Folgen auf die Zusammenarbeit hat.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2017)