Streitgespräch: „Transparenz, aber nicht im Erdäpfelkeller“

(c) Clemens Fabry
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ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger und Grünen-Sozialsprecher Karl Öllinger sind uneins über Form und Ziele eines „Sozialtransferkontos“ sowie über Lösungsansätze für die Universitäten.

„Die Presse“: Warum funktioniert Schwarz-Grün in Oberösterreich, aber nicht im Bund?

Fritz Kaltenegger: Ich halte das für eine sehr interessante Variante, und in Oberösterreich ist diese Regierungsformation ja auch wiedergewählt worden.

Karl Öllinger: In der Bundespolitik erwähne ich nur das Stichwort Maria Fekter...

...auch eine Oberösterreicherin.

Öllinger (lacht): Allerdings. Aber auch in der Sozial- und der Bildungspolitik gibt es auf Bundesebene ganz große Differenzen zwischen Schwarz und Grün.

Etwa beim Sozialtransferkonto.

Kaltenegger: Es geht uns um Transparenz und Leistungsgerechtigkeit, nicht um Neid. Leistung muss sich lohnen.

Öllinger: Wir wären die Ersten, die für ein transparentes Konto sind, da muss dann aber alles drauf: Einkommen, Vermögen, Sozialtransfers und steuerliche Abzüge.

Der Nachbar soll auch Einsicht nehmen können, wie in Schweden?

Öllinger: Wenn man über Transparenz redet, dann muss das sein. Die ÖVP ist ja die intransparenteste Partei überhaupt und wehrt sich gegen die Veröffentlichung von Abgeordneteneinkommen und Parteispenden.

Kaltenegger: Wir haben unsere Bilanzen veröffentlicht – so, wie im Gesetz vorgeschrieben. Aber das geht am Thema vorbei. Es geht darum, wie wir unser Sozialsystem weiterentwickeln können.

Weiterentwicklung könnte Deckelung der Sozialleistungen wie in Deutschland bedeuten. Bei Hartz IV haben seinerzeit übrigens auch die deutschen Grünen zugestimmt.

Öllinger: Ja, aber mit Schmerzen. Wir haben Gott sei Dank in Österreich ein besseres System. Der Punkt ist nur: Wenn bei einem Transferkonto nur der Finanzminister mehr weiß, wem nützt das dann?

Kaltenegger: Jeder Bürger weiß dann mehr über seine Situation. Von einer Veröffentlichung dieser Daten halte ich nichts.

Öllinger: Aber jeder Bürger, jede Bürgerin weiß doch, was er bzw. sie bekommt. Wenn ich ihm aber sage, dass eine ÖBB-Fahrt, für die er 50 Euro bezahlt, in Wahrheit 100 Euro kostet, weil ich das Bahndefizit hineinrechne, dann wird er über diese Art der Transparenz grantig sein.

Aber würde er nicht auch grantig sein, wenn jedermann in seine Einkommensverhältnisse Einsicht nehmen könnte?

Öllinger: Ich bin überzeugt, dass wir da ein großes Problem hätten. Aber so wie man das jetzt diskutiert, ist es keine Transparenz.

Aber hat denn das Finanzministerium wirklich einen Überblick über das Konglomerat aus Gemeinde-, Landes- und Bundessozialleistungen, die ein Einzelner bekommt?

Öllinger: Ich bestreite nicht, dass es bei der Abstimmung dieser Leistungen Probleme gibt. Daran müsste man arbeiten.

Kaltenegger: Dafür braucht man sachliche Daten. Legen wir doch die Zahlen auf den Tisch! Der Mittelstand sagt zu Recht: Die Leistungsgrenze ist erreicht. Es geht nicht um Sozialabbau. Man sollte durchaus ergründen, wo man eventuell noch mehr Hilfe bräuchte. Ich verstehe nicht, warum man sich vor dieser Debatte so fürchtet.

Öllinger: Ich nehme Ihr tränenreiches Bekenntnis für den Mittelstand zur Kenntnis, aber warum wollen Sie dann ausgerechnet Mittelstandsfamilien mit der Wiedereinführung der Studiengebühren belasten? Das sind genau jene Familien, deren Studierendenkinder garantiert kein Stipendium kriegen!

Kaltenegger: Die Studiengebühren werden von der Bevölkerung mehrheitlich befürwortet, und diejenigen, die es sich leisten können, sind auch bereit, das zu zahlen. Das ist übrigens das Geld, das die Studenten auf der Straße für die Universitäten einfordern.

Öllinger: Von den 140 Millionen Euro sollen 70 in bessere Stipendien fließen. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass man mit den restlichen 70 Millionen Euro mehr im Jahr die desaströsen Zustände an den Universitäten sanieren und die Studierendenzahl verdoppeln kann!

Aber brauchen wir wirklich tausende Psychologiestudenten?

Öllinger: Gute Frage, man muss sich in Bezug auf die Studieneingangsphase wesentlich mehr einfallen lassen – aber bitte nicht mit Knock-out-Prüfungen. Es gibt auch an den Schulen Versäumnisse, was die Berufsorientierung betrifft. Ich bin trotz allem dafür, dass jeder studieren darf, was er will.

Kaltenegger: Das ist ja möglich.

Öllinger: Bei einem Massenansturm geht das nicht mehr.

Kaltenegger: Aber wenn Sie mehr Geld für die Universitäten verlangen, müssen Sie sagen, wem man es wegnehmen soll. Ja, wir brauchen mehr Studierende, aber dieses Mehr muss nicht unbedingt aus Deutschland kommen. Daher brauchen wir Zugangsbeschränkungen, damit unsere Kinder auch studieren können, was sie wollen. Das Ziel sind mehr Absolventen.

Ist es nicht so, dass die Parteien – auch Schwarz und Grün – immer viel lieber Geld für Wohlfahrt als für Innovation ausgeben? Wir sind Frühpensionierungsweltmeister.

Öllinger: Aber im Unterschied zu anderen Ländern steigen die Österreicher relativ früh ins Erwerbsleben ein. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, hat ein Recht darauf, in Pension zu gehen. Über die Höhe der Abschläge muss man reden. Absurd ist, dass die Langzeitversichertenpension günstigere Bedingungen hat als die Schwerarbeiterpension.

Kaltenegger: Wir müssen fragen, ob die Hacklerregelung den geplanten Zweck erfüllt. Außerdem ist sie teurer als erwartet. Hier gibt es Handlungsbedarf, was offenbar auch Ihre Meinung ist. Das heißt aber nicht, dass wir geltendes Recht von heute auf morgen kappen wollen. Wir müssen uns darüber unterhalten, dass wir das Sozialnetz dicht geknüpft halten, gleichzeitig aber jene im Auge behalten, die die Last tragen.

Öllinger: Die ÖVP führt diese Debatte unehrlich. Es geht um ungerechte Verteilung, und in die Krise hat uns nicht geführt, dass Arme zu viel erhalten, sondern dass Reiche zu viel kriegen und spekuliert haben.

Kaltenegger: In die Krise hat uns geführt, dass wir intransparente Systeme hatten.

Öllinger: Darum bin ich für absolute Transparenz, aber nicht im Erdäpfelkeller.

Wer wäre Ihrer Meinung nach der beste EU-Kommissar für Österreich? Die Debatte ist ja nicht gerade optimal gelaufen.

Öllinger: Das ist absolut unglücklich gelaufen. Ich habe keine Sympathie dafür, dass das mit taktischen Spielchen verknüpft wurde. Ein Wissenschaftsminister, der es nicht geschafft hat, die Universitäten nach vorn zu bringen und in einer massiven Krise der Universitäten nach Brüssel weggelobt wird, macht kein gutes Bild.

Kaltenegger: Die Entscheidung, Hahn nach Brüssel zu schicken, war eine sehr gute. Ich hätte mir nur gewünscht, dass Werner Faymann in dieser Frage mehr Kanzler und weniger SPÖ-Vorsitzender gewesen wäre. Hahn steht bis zu seinem Wechsel nach Brüssel als Minister zur Verfügung. Er hat es geschafft, den Wegfall der Studiengebühren im Budget zu kompensieren und noch etwas draufzulegen, er hat im Forschungsbereich mehr Geld herausgeholt, er hat mit dem Forschungsfinanzierungsgesetz einen Meilenstein gesetzt, und er hat das Gespräch mit der Hochschülerschaft gesucht.

Öllinger: Als Wissenschaftsminister hätte er längst im Audimax sein müssen, da fällt keinem Minister eine Perle aus der Krone.

Werden Sie keinen Gegenkandidaten zu Heinz Fischer aufstellen?

Kaltenegger: In der ÖVP ist darüber noch keine Entscheidung gefallen. Der amtierende Bundespräsident selbst lässt außerdem die Wähler im Unklaren, ob er nochmals antritt.

Öllinger: Auch die Grünen haben noch nicht entschieden. Im Unterschied zu Ihnen bin ich aber mit Heinz Fischer nicht unzufrieden – auch wenn ich finde: Er hat sehr erfrischend begonnen und ist zunehmend im Zeremoniell des Amtes verschwunden. Ich würde mir auch den Bundespräsidenten momentan im Audimax wünschen.

ZU DEN PERSONEN

Fritz Kaltenegger (38) wurde vor einem Jahr, nach der für die ÖVP verlorenen Nationalratswahl, Generalsekretär der Partei. Davor war der Boku-Absolvent Kabinettschef beim damaligen Landwirtschaftsminister Josef Pröll, und ab 2005 Direktor des ÖVP-Bauernbundes. Als Wahlkampfleiter für die EU-Wahl konnte der gebürtige Kärntner für seine Partei einen Erfolg verbuchen.

Karl Öllinger (58) ist Sozial- und SeniorInnensprecher der Grünen und quasi Urgestein der Partei: Seit 15 Jahren ist er Parlamentsabgeordneter. Als Student engagierte sich der Oberösterreicher beim VSStÖ. Sein Engagement gegen Neonaziumtriebe hat ein Nachspiel im aktuellen U-Ausschuss: Die FPÖ wirft ihm vor, Blaue mithilfe der Polizei bespitzelt zu haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2009)

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