Die Politik novelliert gerade das vor Kurzem novellierte Strafgesetz. Und lässt sich dabei von Staatsverweigerern zu uferloser Anlassgesetzgebung verleiten.
Es geht also um Sicherheit. Die Öffentlichkeit will sicher sein. Vor Gottesstaatgründern ebenso wie vor den sogenannten Staatsverweigerern. Vor Gefährdern der öffentlichen Ordnung ebenso wie vor Cyber-Erpressern. Vor Grapschern ebenso wie vor solchen, die Frauen „antanzen“ und dabei sexuell belästigen. Ja, es wird immer kleinteiliger. Immer spezieller. Sicherheit ist nicht nur ein menschliches Grundbedürfnis, Sicherheit ist bekanntlich auch ein von der Politik intensiv beackertes Tummelfeld. Kaum eine Materie bringt so viel Anlassgesetzgebung hervor wie das Strafrecht. Derzeit ist es wieder einmal soweit: Das in Sachen Sicherheit als Allheilmittel überstrapazierte Strafgesetz wird novelliert. Anlässe dafür wurden von eilfertigen Legisten bereits ausgemacht. Doch die bis 3. April zur Begutachtung vorliegenden Gesetzesentwürfe vermitteln eher jenes Gefühl, das Law-and-Order-Politik zu bekämpfen versucht: nämlich das Gefühl der Unsicherheit.
Anlassgesetzgebung also. Dieser Begriff muss nicht unbedingt ein Schimpfwort sein. Zeugt es denn nicht von intakter Reaktionsfähigkeit des Gesetzgebers, wenn er Fehlentwicklungen prompt entgegenwirkt? Man kann es aber auch übertreiben. So meldete das Justizressort, dass der Straftatbestand „sexuelle Belästigung“ erneut erweitert werde – „als Folge der Silvestervorfälle in Innsbruck, wo Frauen von Gruppen junger Männer belästigt wurden“. Immerhin: Eine so unverstellt-offene Bestätigung für Anlassgesetzgebung findet man nur sehr selten. Verunsichernd, wie gesagt, ist die Ausgestaltung der geplanten Norm: Das (laut Opferaussagen) zuletzt von „südländisch“ oder „nordafrikanisch“ aussehenden jungen Männern praktizierte Umringen von Frauen inklusive sexueller Belästigung soll mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Das entspricht der Strafdrohung, die auf Teilnahme an einem Raufhandel mit tödlichem Ausgang steht. Dass Strafrechtsprofessoren im Rahmen der Begutachtung von Unverhältnismäßigkeit sprechen, verwundert nicht.
Wer eine sexuelle Belästigung (darunter fällt das viel zitierte Grapschen) „mit mindestens einer weiteren Person in verabredeter Verbindung begeht“, soll künftig gar bis zu drei Jahre Haft bekommen. Das entspricht der bestehenden Sanktion für schwere (vorsätzliche) Körperverletzung. Das Beispiel zeigt: Der erst im Vorjahr in Kraft getretene Grapsch-Paragraf soll nun so novelliert werden, dass die Relationen wieder nicht stimmen – das alte Problem. Noch fragwürdiger scheint die Art, wie das Problem der Staatsverweigerer gelöst werden soll. Die Rede ist von jenen ungefähr tausend Personen in Österreich, die die staatliche Ordnung nicht anerkennen und eigene krude „Gesetze“ basteln. Hier wurde ein neuer Paragraf („Staatsfeindliche Bewegungen“) aufgesetzt. Eine solche Bewegung ist eine, die „darauf ausgerichtet ist“, Hoheitsrechte „nicht anzuerkennen“ und deren Zweck es ist, „auf gesetzwidrige Weise“ die Vollziehung von Gesetzen zu verhindern – „wenn sich diese Ausrichtung in einer Handlung gegenüber einer Behörde für diese eindeutig manifestiert hat“. Strafdrohung für führende Staatsverweigerer: bis zwei Jahre Haft; für Mitläufer: bis ein Jahr Haft oder Geldstrafe.
Man muss kein Jurist sein, um zu erkennen, dass das Ressort von Justizminister Wolfgang Brandstetter (er wurde von der ÖVP nominiert) auf Ersuchen des ÖVP-Innenministers Wolfgang Sobotka einen Entwurf zimmern ließ, der a) ziemlich unbestimmt ist und b) die Grenze zum Gesinnungsstrafrecht zu überschreiten droht. Unter Bewegung sind übrigens schon zehn Personen zu verstehen. „Zehn Spinner rechtfertigen eine Straftat mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe nicht“, meint Strafrechtler Alexander Tipold treffend.
Conclusio 1: Bei der Gesetzgebung, um nicht zu sagen Regelwut, gilt das Motto „Weniger ist mehr“.
Conclusio 2: Wenn schon neue Regeln, dann bitte klare.
Und: Alle erdenklichen Formen menschlichen Fehlverhaltens zu erfassen wird auch bei dieser Reform nicht gelingen. Muss es auch nicht: Das Strafgesetzbuch ist ohnehin ziemlich dick.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2017)