Die Ausweitung der Schutzzone

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Nazi-Vergleiche und „Lex Erdoğan“, das rechtspopulistische Gespenst und der Untergang des Abendlands: Neues aus der Gegenwart der Aufgeregten.

Na bitte, geht doch! Der Sprecher von Atib, dem Dachverband der religiösen Austrotürken, erklärte nun, die Nazi-Vergleiche namhafter AKP-Politiker gegen Deutschland und die Niederlande seien „völlig überzogen“ und „nicht zu akzeptieren“, die Einführung der Todesstrafe in der Türkei würde man keinesfalls mittragen.

Auch der AKP-Ableger in Österreich, die UETD, versuchte zu kalmieren. Allerdings mit einem Vergleich, den man sich dann doch wieder auf der Zunge zergehen lassen muss: Präsident Erdoğan habe mit seinen Nazi-Vergleichen lediglich auf die „Anfangszeit der Nazi-Ära“ angespielt, in der „die Meinungsfreiheit weggenommen wurde“. Nur gut, dass die Türkei weit davon entfernt ist.

Die UETD Deutschland wiederum verkündete gestern, dass es bis zum Referendum in der Türkei keine weiteren Auftritte türkischer Politiker in Deutschland geben werde. Man darf wohl davon ausgehen, dass das dann auch für Österreich gilt. So gesehen wäre die gestern von der Regierung akkordierte „Lex Erdoğan“ also gar nicht notwendig gewesen. Er und seinesgleichen kommen sowieso nicht.

Abgesehen davon, dass schon die bisherige Rechtslage ausgereicht hätte, Erdoğan an Auftritten in Österreich zu hindern. Allerdings: Hätte die Behörde bislang dafür zwingende Gründe anführen müssen, dass deswegen die öffentliche Sicherheit gefährdet sei – was bei einer an sich friedlichen Demo nicht so leicht ist –, so kann die Bundesregierung künftig solche Auftritte direkt verbieten. An den Gründen dafür tüfteln nun die Juristen.

Ein wenig viel Aufregung also. Wobei die größten Aufreger im Versammlungsrecht ohnehin auf die lange Bank geschoben wurden: die Haftung für Veranstalter von Demonstrationen und deren Untersagung wegen geschäftlicher Interessen. Und dort werden sie wahrscheinlich auch bleiben. Wolfgang Sobotka, der Erfinder des Ganzen, hat ein paar Punkte durchgebracht, Thomas Drozda, sein Gegenüber auf SPÖ-Seite, noch ein paar verhindert.

Das Sinnvollste am nun Vereinbarten ist, dass es künftig eine Schutzzone von 50 bis 150 Metern zwischen einzelnen Demonstrationen geben soll. Damit sollte sich die zuletzt eingebürgerte Unart von Demo und Gegen-Demo mit entsprechender Gewaltauf- und -entladung wieder einigermaßen entschärfen lassen.

Vielleicht sollte man so eine Schutzzone bisweilen auch zwischen SPÖ und ÖVP errichten. Die Debatte um das Versammlungsrecht war ein weiteres Beispiel für diesen Koalitionskampf der Kulturen. Zuerst war Innenminister Sobotka ohne aktuelle Not mit seinem Vorstoß vorgeprescht – und das nur wenige Tage nach dem mühevoll errungenen Regierungsneustart. Postwendend wurde Sobotka von den Genossen und den wie immer zu jeder Aufregung bereiten Mitstreitern in den Medien, allen voran den sozialen, unterstellt, er wolle das Demonstrationsrecht generell abschaffen. Das sind nicht selten dieselben Leute, die hinter jedem Mistkübel die rechtspopulistische Gefahr wittern, die islamistische aber ausblenden.

Es wäre überhaupt von Vorteil, würde man reale Gefahren stärker von herbeifantasierten unterscheiden können. Ein Erdoğan-Auftritt in Österreich bedeutet ebenso wenig den Untergang des Abendlandes wie die Überlegungen des Innenministers zur Reform des Versammlungsrechts. Das Auftreten Erdoğans in der Türkei – das ist eine reale Gefahr für die Demokratie. Ebenso wie die Islamisierung, also die Ausbreitung des politischen Islam, an sich.

Hier ist Appeasement unangebracht. Ebenso unangebracht wie die sonst übliche Aufregung bei fast allem und jedem, das weit unter dieser Flughöhe ist.

Immerhin geht nun sogar Atib einen deeskalierenden Schritt in diese Richtung. Das ist zwar kaum zu glauben, bei einem Verein, der bis vor Kurzem noch direkt vom türkischen Botschaftsrat gesteuert wurde. Aber wollen wir den guten Willen einmal würdigen.

E-Mails an:oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2017)

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