EU-Politik als Zerreißprobe für die Große Koalition

Faymann
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Für Schüssel und Gusenbauer lobbyiert Faymann nicht. Der Haussegen dürfte bei Rot-Schwarz, speziell nach dem jüngsten EU-Gipfel, ganz schön schief hängen. Man misstraut einander tief.

BRÜSSEL/WIEN (pö/mon). Eigentlich könnte Österreich weiter um die neuen EU-Topjobs mitpokern, heißt es in Brüsseler Kreisen. Doch der Kanzler will das offenbar gar nicht. Und riskiert damit eine echte Zerreißprobe. Der Haussegen dürfte bei Rot-Schwarz, speziell nach dem jüngsten EU-Gipfel, ganz schön schief hängen. Man misstraut einander tief. Doch Neuwahlen vom Zaun brechen „nur“ wegen EU-Personalia? Völlig undenkbar, heißt es in der ÖVP.

In der SPÖ wiederum ist man mit der Situation gar nicht unzufrieden: Kanzler Werner Faymann erhält derzeit von der Parteibasis Applaus, weil er es der ÖVP endlich mal „gezeigt“ hat. Die Nominierung Johannes Hahns zum EU-Kommissar gilt dort als Sieg – inklusive der Probleme der ÖVP-Wien, ihren Parteichef und Spitzenkandidaten ein knappes Jahr vor der Wahl austauschen zu müssen.

In der ÖVP ist man sich sicher, dass Faymann mit seinem Veto gegen Wilhelm Molterer die Chance verspielt hat, dass ein Österreicher in der EU-Kommission das gewichtige Agrarressort besetzt, Kommissionschef José Barroso soll das in Aussicht gestellt haben. Sowohl das Bildungs- als auch das Forschungsressort, das Hahn übernehmen könnte, haben weniger Geld und Prestige. Auf diesbezügliche Kritik des Bauernbund-Präsidenten Fritz Grillitsch reagierte Faymann in einem Interview mit „Österreich“ höhnisch: Wenn Grillitsch meine, Johannes Hahn sei kein optimaler Vorschlag gewesen, dann solle er das mit seinem Obmann (Josef Pröll) diskutieren. „Die Herren kennen sich ja aus dem Bauernbund.“

 

Schüssel nicht aus dem Rennen

Für Kopfschütteln – nicht nur bei der ÖVP, auch bei Brüsseler Beobachtern – sorgt außerdem die Äußerung Faymanns, den Namen Wolfgang Schüssel für höhere Weihen in Brüssel außerhalb Österreichs noch nie vernommen zu haben. Aber der Exkanzler ist laut internationalen Quellen für den EU-Ratspräsidenten noch immer nicht aus dem Rennen – sofern der niederländische Premier Jan Peter Balkenende abspringt. Der gilt zwar als Favorit, könnte aber absagen, weil nächstes Jahr in seinem Land gewählt wird und ohne ihn Rechte bessere Chancen hätten, so heißt es. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel soll wiederum für Schüssel lobbyiert haben, auch wenn sie das auf „Presse“-Frage in Brüssel nicht offiziell bestätigen wollte.

Außer auf den „EU-Chef“, den Ratspräsidenten, hätte Österreich auch – geringe – Chancen auf den ersten „EU-Außenminister“. Favorit ist zwar der britische Außenminister David Miliband (Labour), doch viele Sozialdemokraten sähen auch gerne Exkanzler Alfred Gusenbauer auf dem Posten. Nur Kanzler Faymann offenbar nicht, obwohl er im Trio mit dem Dänen Poul Rasmussen und dem Spanier José Zapatero bis Mitte November den besten sozialdemokratischen Anwärter herausfiltern und mit Europas Konservativen – EU-weit Nummer eins – fixieren soll. Diesebekommen dafür den aufgewerteten Ratspräsidenten.

Gusenbauer käme gar nicht infrage, weil nur ein österreichisches Mitglied in der nächsten EU-Kommission vertreten sein dürfe, meinte Faymann in Brüssel, und das sei eben Johannes Hahn.

Dieser bedauerte am Wochenende in einem „Kurier“-Interview seinen Fauxpas: In einer ersten Reaktion hatte Hahn ja angekündigt, trotz des Kommissarsjobs Wiener ÖVP-Obmann bleiben zu wollen – was laut EU-Recht nicht möglich ist. „Ein Fehler“, wie er eingestand. Sein Nachfolger wird nun voraussichtlich Raiffeisen-Generalsekretär Ferry Maier, gegen den die „Krone“ bereits heftig zu Felde zieht, deren EU-Politik er kritisiert hatte.

Nach all den Querelen schlägt nun der Dritte Nationalratspräsident Martin Graf von der FPÖ eine EU-Sondersitzung des Nationalrats vor. Meinung, Seite 27

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2009)


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