Brexit-Folgen: Schottland für neues Referendum

Schottlands Regierungschefin Sturgeon und ihr Vize Swinney im Regionalparlament in Edinburgh.
Schottlands Regierungschefin Sturgeon und ihr Vize Swinney im Regionalparlament in Edinburgh.(c) APA/AFP/ANDY BUCHANAN
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Das Parlament in Edinburgh möchte eine neuerliche Unabhängigkeitsabstimmung. Doch viele Fragen bleiben offen, auch ob eine EU-Mitgliedschaft möglich wäre.

London. An ihrer Entschlossenheit ließ die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon von Anfang keinen Zweifel. Den Schotten eine neuerliche Volksabstimmung zu verweigern, wäre „falsch, unfair und völlig unhaltbar“, erklärte sie zum Auftakt einer zweitägigen Debatte im Regionalparlament in Edinburgh. Obwohl die Scottish National Party (SNP) von Sturgeon eine Minderheitsregierung stellt, konnte sie dank der Stimmen der Grünen eine Mehrheit für ihren Antrag erwarten. Die für Mittwochabend geplante Abstimmung wurde allerdings wegen des Anschlags in London vorerst verzögert.

Zu erwarten ist, dass Sturgeon beauftragt wird, mit der Regierung in London „Diskussionen aufzunehmen“ über die Abhaltung einer Volksabstimmung, in der die Schotten erneut über ihr Ausscheiden aus dem Vereinigten Königreich entscheiden sollen. 2014 hatten 55 Prozent der Schotten gegen die Unabhängigkeit gestimmt. Premierministerin Theresa May hat der Forderung nach einer neuen Abstimmung vorerst eine Absage erteilt und erklärt: „Jetzt ist nicht die Zeit dafür“. Nach Ansicht Londons geht es nun darum, alle Konzentration auf die EU-Austrittsverhandlungen zu legen. Am kommenden Mittwoch wird London den Prozess offiziell auslösen, der EU-Vertrag sieht dafür eine Dauer von maximal zwei Jahren vor. Die schottische Regierung will hingegen eine neue Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Ende 2018 oder Anfang 2019.

Kritiker der SNP-Position argumentieren, dass erst nach einem Ende der Brexit-Verhandlungen die Tatsachen feststehen werden, auf deren Grundlage eine Entscheidung über die Zukunft Schottlands getroffen werden könne. Die schottische Führung hingegen verweist darauf, dass 62 Prozent der Schotten im Vorjahr für den Verbleib in der EU gestimmt hätten und nur ein rasches neues Unabhängigkeitsreferendum „die Entstehung von neuen Bruchlinien“ verhindern könne, wie Sturgeon zuletzt sagte.

„Herzliche Aufnahme“ versprochen

Obwohl sich die SNP immer klar für die EU-Mitgliedschaft Schottlands ausgesprochen hat, ist dieses Ziel durch den Brexit nicht näher, sondern ferner gerückt. Sturgeon dementierte, dass sich Schottland in der EU „hinten anstellen“ müsste, wie es der spanische Außenminister Alfonso Dastis formuliert hatte: „Es gibt keine Schlange für den EU-Beitritt und wir haben mehrere Stimmen gehört, die uns gesagt haben, dass Schottland eine sehr offene und herzliche Aufnahme finden würden, wenn wir in der EU sein wollen.“

Sie räumte damit aber ein, dass auch die SNP nicht mehr von einer automatischen EU-Mitgliedschaft eines unabhängigen Schottlands ausgeht. Zuletzt hatte der frühere First Minister Alex Salmond über einen Beitritt zur Europäischen Freihandelszone (Efta) philosophiert. Dem immer noch überaus machtvollen – und machtbewussten – Vorgänger Sturgeons wird nicht entgangen sein, dass auch eine Million Schotten für den Brexit gestimmt hatten und sich zwei Drittel heute als „europaskeptisch“ bezeichnen.

Die schottische Opposition wirft der Regionalregierung angesichts dieser Ausgangslage „politische Spielereien“ vor. „Wir haben es gründlich satt“, sagte die Chefin der Konservativen in Edinburgh, Ruth Davidson, und die Labour-Fraktionsführerin Kezia Dugdale meinte: „Wir würden uns wünschen, die Regierung würde in anderen Fragen auch so großen Wert auf die Meinung des Parlaments legen.“ Der Grüne Patrick Harvie, der mit der SNP stimmte, schloss nach einer neuen Unabhängigkeitsvolksabstimmung auch ein weiteres EU-Referendum in Schottland nicht aus. Nach Umfragen wollen derzeit aber nur 35 Prozent des Volkes erneut gefragt werden. Eine sichtlich entnervte Schottin sagte gestern zur „Presse“ in London: „Wozu wählen wir eigentlich noch?“

AUF EINEN BLICK

Schottland. Das schottische Regionalparlament wollte am Mittwoch für die Abhaltung eines neuen Unabhängigkeitsreferendums stimmen. Die Abstimmung wurde aber wegen des Terroranschlags in London unterbrochen. Das Referendum soll nicht nur die Loslösung von London, sondern auch den Erhalt der EU-Mitgliedschaft sicherstellen. Allerdings benötigt Schottland für eine solche Abstimmung den Segen des Parlaments in Westminster. Die britische Premierministerin Theresa May hat sich allerdings vorerst gegen ein schottisches Referendum ausgesprochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2017)

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