Nach dem Anschlag, der vier Todesopfer und Dutzende Verletzte forderte, wurden Wohnungen in London und Birmingham von der Polizei gestürmt. Es gab mindestens acht Verhaftungen, der Täter mit Migrationshintergrund war polizeibekannt.
Der Attentäter von London wurde in der südostenglischen Grafschaft Kent als Sohn von Immigranten geboren, hieß Khalid Masood, war 52 Jahre alt (*Dezember 1964) und soll zuletzt in der mittelenglischen Region West Midlands gelebt haben, die unter anderem die großen Städte Birmingham, Coventry und Wolverhampton umfasst - das gab Scotland Yard am Donnerstagnachmittag, einen Tag nach dem Auto- und Messerattentat auf und nahe der Westminster Bridge in London, bekannt. Masood sei überdies unter Alias-Namen bekannt gewesen und vielfach straffällig geworden, etwa wegen Raufhandels und schwerer Körperverletzung.
„Was ich bestätigen kann, ist, dass der Mann in Großbritannien geboren wurde und dass er vor einigen Jahren vom MI5 (Inlandsgeheimdienst, Anm.) überprüft wurde", hatte Premierministerin Therasa May zuvor gesagt. Die Überprüfung wurde wegen Verdachts auf gewalttätigen Extremismus durchgeführt. „Er war aber eine periphere Figur", fügte May hinzu. Es habe keine Geheimdienstinformationen dazu gegeben, dass er die Absicht habe, einen Anschlag zu verüben, so die Regierungschefin.
Abstammung aus Nahost bis Südasien
Auf Fotos, die ein Pressefotograf kurz nach dem Attentat vom Mittwoch im Parlamentsgarten gemacht hatte, ist zu sehen, wie sich Sanitäter und Polizisten um den Mann scharen, der kurz zuvor nach seiner Terrorfahrt selbst angeschossen worden war und sterbend auf einem gepflasterten Gehweg lag. Die Sanitäter konnten ihn nicht am Leben erhalten. Man sieht in seiner Nähe zwei am Boden liegende Messer, die seine Waffen waren, und kann auch sein Gesicht erkennen: Er hatte kurz geschorenes oder rasiertes Haupthaar, Vollbart ohne wesentlichen Schnauzer nach Art von Islamisten, und dürfte rein optisch abstammungsmäßig aus dem Raum Nahost bis Südasien stammen.
Am Donnerstag reklamierte die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS)
den Anschlag für sich: Ein "Soldat" des IS habe ihn ausgeführt, meldete das IS-Sprachrohr "AMAQ" unter Berufung auf nicht näher genannte Sicherheitskreise über das Internet.
Bereits in der Nacht auf Donnerstag waren schwer bewaffnete Polizisten ausgerückt, um Razzien durchzuführen. Dabei wurden die ersten Festnahmen, bisher mindestens acht, durchgeführt. Laut Scotland Yard wurden mehrere Wohnungen in London und Birmingham durchsucht.
Fahrzeug in Birmingham gemietet
Bei dem Attentat in der britischen Hautstadt waren am Mittwoch insgesamt vier Menschen inklusive des Täters getötet und etwa 40 verletzt worden. Am Mittwochabend hatten die Behörden noch von fünf Toten gesprochen. Am Donnerstag korrigierten sie diese Zahl aber nach unten: Der Attentäter sowie drei weitere Menschen seien umgekommen, sagte der Chef der Terrorabwehr von Scotland Yard, Mark Rowley.
Während über die Hintergründe und möglichen Motive weiterhin nach außen Unklarheit herrschen, wurden immer mehr Einzelheiten zum Tathergang bekannt. Wie zuvor etwa in Nizza, Berlin und israelischen Städten wurde dabei ein Fahrzeug als Waffe verwendet. Es handelte sich um ein SUV von Hyundai, der Wagen war bei der Mietwagenkette "Enterprise" in Birmingham (Mittelengland) gemietet und konkret in einer Filale in der Stadt Solihull nahe Birmingham abgeholt worden. Ein Enterprise-Angestellter hatte das Auto identifiziert, nachdem er die Nummerntafel auf Fotos im Internet gesehen hatte.
Spanischlehrerin, Musikproduzent, Polizist
Ob der Abholer identisch mit dem Attentäter war, war vorerst unbekannt. Jedenfalls fuhr der Angreifer damit über die Westminster Bridge in Richtung Norden zum Parlamentsgebäude. Dabei raste er auf dem Gehsteig in zahlreiche Passanten. Zwei Opfer erlagen auf der Brücke ihren Verletzungen, es handelte sich um eine 43-jährige englische Spanischlehrerin mit spanischen Wurzeln an einem britischen College, die gerade ihre zwei Kinder von der Schule holen wollte, und einen 54-jährigen Musikproduzenten aus dem US-Staat Utah, der durch Europa reiste; seine Frau wurde ebenfalls niedergefahren und erlitt einen Beinbruch.
Insgesamt mindestens 40 Menschen wurden verletzt, nach bisherigen Erkenntnissen unter anderen zwölf britische Bürger, fünf Südkoreaer, drei französische Kinder, je zwei Griechen, Rumänen und Italiener sowie je ein US-Amerikaner, Australier, Deutscher und Portugiese. Eine Frau rettete sich durch einen Sprung in die Themse. Sie wurde mit schweren Verletzungen geborgen. Siehe auch die Videos hier. Bisher ist nicht klar, ob auch Österreicher unter den Opfern sind.
Terrorwarnstufe wird nicht erhöht
Scotland Yard geht von einem Einzeltäter aus, der "vom internationalen Terrorismus inspiriert wurde". Die Polizei meint nach Angaben eines Sprechers zu wissen, wer der Angreifer war, machte aber bislang keine Angaben zur Identität. Für den Anschlag benutzte er ein Auto, bewaffnet war er laut Scotland Yard mit "zwei langen Messern". Die britische Premierministerin Theresa May hat den Anschlag noch am Abend als "krank und verkommen" verurteilt. Die Menschen in Großbritannien würden Terror niemals nachgeben, das Leben werde wie gewohnt weitergehen, sagte May bei einer Ansprache am Mittwochabend in London. "Morgen früh wird das Parlament zusammentreten wie immer." May hat angekündigt, dass die Terrorwarnstufe in Großbritannien trotz des Anschlags nicht erhöht wird.
Leibwächter eines Ministers brachte ihn zur Strecke
Der Attentäter raste auf eines der Tore des Parlamentshofs zu, krachte mit seinem SUV in den Begrenzungszaun und stürmte auf den Eingang zu und in den Garten. In der Hand schwenkte er ein 17 Zentimeter langes Messer, mit dem er einen unbewaffneten Polizisten niederstach.
Wie sich zwischenzeitlich herausstellte, wurde er danach nicht von zwei anderen, bewaffneten Polizisten in dem Garten niedergeschossen, die sich dort genähert hatten, sondern von einem Leibwächter des britischen Verteidigungsministers Sir Michael Fallon. Laut "Telegraph" wartete dieser in der Nähe im Dienstauto des Ministers, bekam mit, wie der Attentäter mit seinem Wagen in den Gartenzaun des Parlaments krachte und von dort aus mit Messern weiterlief. Er sah, wie dieser den Polizisten erstach, stieg aus, rannte los und jagte Masood drei Pistolenkugeln in die Brust.
Auch für sein Opfer, den 48jährigen, unbewaffneten Polizisten und Familienvater Keith Palmer, kam jede Hilfe zu spät. Auf den anfangs erwähnten Bildern des Fotografen vom Tatort im Garten ist zu sehen, wie sein Körper, um den sich ebenfalls Sanitäter scharen, kaum zehn Meter entfernt von dem seines ebenfalls sterbenden Mörders liegt.
Der Staatsekretär im Außenministerium, Tobias Elwood, hatte noch versucht, den Beamten mit Mund-zu-Mund-Beatmung zu retten. Elwood hatte bei dem Terroranschlag 2002 in Bali seinen Bruder verloren.
Die Polizei sprach schon kurze Zeit nach dem Beginn der Ermittlungen um exakt 14.40 Uhr Ortszeit von einem „terroristischen Zwischenfall“. Kommandant Ben-Julian Harrington bestätigte, dass „eine volle Anti-Terror-Operation im Gange" sei. Das Parlament wurde abgeriegelt, die rund 700 Menschen, die sich zum Zeitpunkt der Tat im Palace of Westminster befunden, wurden im Gebäude festhalten, während die Polizei Untersuchungen vornahm. Sie durften erst Stunden später das Parlament wieder verlassen. Unter ihnen befand sich der österreichische Botschafter in London, Martin Eichtinger, der wohlauf war. Premierministerin Theresa May wurde in einem silbergrauen Jaguar an ihren nahen Amtssitz in der Downing Street gebracht.
Das nahegelegene Riesenrad "London Eye" wurde gestoppt. Die Besucher mussten rund eine halbe Stunde lang in den Kabinen ausharren. Von dem Riesenrad aus konnten die Besucher den Anschlagsort gut sehen: Der 16-jährige Jack Hutchinson aus den USA, der zusammen mit seinen Eltern im London Eye feststeckte, sagte, er habe von oben drei Leichen auf dem Boden liegen sehen. "Es war ganz schön schreckenerregend", fügte er hinzu.
Nur Gerüchte über Komplizen
Mit den Maßnahmen wollten die Behörden Aufschlüsse über die Tat gewinnen. Über Twitter wurde die Nachricht verbreitet, das Auto des Täters sei im Chelmsford, eine Stadt von 120.000 Einwohnern im Osten von London zugelassen gewesen. Augenzeugen äußerten sich mit Entsetzen über die Szenen vor dem Parlament: „Wir haben so etwas noch nie gesehen", sagte der Augenzeuge Rick Longley. „Der Mann hat vor aller Augen einen Polizisten mit einem Messer attackiert. Ich kann es nicht glauben.“
Der Anschlag löste weltweit Bestürzung hervor. US-Präsident Donald Trump verurteilte den Anschlag in einem Telefonat mit May. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel erklärte: „Wir stehen entschlossen an der Seite der Briten", und EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte: „Europa ist zur Hilfe bereit".
Das Attentat ereignete sich am ersten Jahrestag der Anschläge von Brüssel, die 35 Tote gefordert hatten. London gilt seit längerem als besonderes terrorgefährdet. Der aktuelle Bedrohungsstand wurde vom Geheimdienst MI5 vor dem Anschlag als „ernst“ bezeichnet, das ist die zweithöchste Stufe. Am 7. Juli 2005 wurden 52 Menschen durch Anschläge in London im öffentlichen Verkehr getötet. An diesen schwarzen Tag wurde die Stadt gestern brutal wieder erinnert.
Großbritannien und die Terrorgefahr
Großbritannien befindet sich seit Jahren im Visier von Terroristen. Eine Auswahl Aufsehen erregender Anschläge und Attentatsversuche:
ÖFFENTLICHER NAHVERKEHR: Es sind die ersten Selbstmordanschläge in Westeuropa. Am 7. Juli 2005 zünden vier Muslime mit britischem Pass in der U-Bahn und einem Bus Sprengsätze. 56 Menschen sterben, etwa 700 werden verletzt. Die Täter haben selbst gebastelte Bomben benutzt und in Rucksäcken transportiert.
PICCADILLY CIRCUS: Zwei Autobomben aus Benzin, Gasflaschen und Nägeln sollen am 29. Juni 2007 mitten im Touristenviertel Londons Dutzende Menschen in den Tod reißen. Die Sprengsätze detonieren aber nicht, weil der Zünder nicht funktioniert.
FLUGHAFEN GLASGOW: Einen Tag später, am 30. Juni, explodiert am Terminaleingang des schottischen Airports ein Auto. Es gelingt den Attentätern jedoch nicht, mit dem brennenden Wagen in die Terminalhalle vorzudringen. Ein Iraker, der hinter den beiden gescheiterten Attacken in Glasgow und am Piccadilly Circus steckt, muss lebenslang ins Gefängnis.
AUF OFFENER STRASSE wird in London ein britischer Soldat im Mai 2013 von zwei zum Islam konvertierten Männern mit Messern und einem Beil ermordet. Sie wollten das Töten muslimischer Soldaten rächen, wie die Briten nigerianischer Herkunft später sagen. Die Täter gehören der islamistischen Szene an, die Justiz geht aber - anders als zunächst die Regierung - nicht von einem terroristischen Hintergrund aus.
(Von unserem Korrespondenten GABRIEL RATH, APA, AFP)