Österreich weigert sich weiterhin, Asylwerber aus Italien und Griechenland zu übernehmen. Der Kanzler erklärt die Causa Relocation nun zur Chef-Sache, die ÖVP kritisiert die SPÖ indes für ihr massives "Kasperltheater".
Der Umverteilungsplan der EU für in Italien und Griechenland befindliche Flüchtlinge auf andere Mitgliedsländer kommt nur schleppend voran. Von dem ursprünglichen Ziel einer Aufteilung von 106.000 Migranten, das dann auf 98.255 reduziert wurde, ist man weiter denn je entfernt. Neben Ungarn und Polen hat bisher nur Österreich (das zunächst zustimmte, dann wegen bereits erfolgter Flüchtlingsaufnahmen einen Aufschub aus der Umverteilung bis 11. März 2017 erwirkte und nun keine Flüchtlinge aus dem Programm übernehmen will) weder aus Italien noch aus Griechenland Migranten übernommen.
Für diese Haltung hatte Österreich zuletzt einige Kritik einstecken müssen. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) erklärte daher nun am Dienstag, das Thema zur Chef-Sache machen und einen Brief nach Brüssel schreiben zu wollen. Darin will der Regierungschef um Verständnis für Österreichs Position werben. Tatsächlich wäre die Republik ja verpflichtet, knapp 2000 Flüchtlinge aus Griechenland bzw. Italien im Rahmen des Umverteilungsprogramms aufzunehmen. Kern ist allerdings der Ansicht, dass man diese Zahl durch illegale Übertritte quasi indirekt schon erfüllt hat.
EU-Kommission: Kein Land kann sich zurückziehen
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner ortete anschließend wenig Erfolgschancen für den Kanzler: "Ich glaube nicht, dass das gelingen kann." Im Wesentlichen sieht der ÖVP-Chef bei der Debatte ohnehin nur eine SPÖ-interne Diskussion zwischen Kern und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Dem stimmte auch Mitterlehnes Parteikollege, Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter, zu, der dem Koalitionspartner ein "massives Kasperltheater" vorwarf. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) habe hingegen "von meiner Seite vollste Unterstützung".
"Es sei klar, wer hier die Position gewechselt hat", so Rupprechter dann auch in Richtung Kern, den er einen "tourner le cou" nannte, was auf Deutsch etwa "Wendehals" heißt.
Die EU-Kommission zeigte sich bislang jedenfalls unnachgiebig von der österreichischen Haltung: Eine Sprecherin konzedierte am Dienstag in Brüssel, Österreich habe in den vergangenen Jahren eine "große Zahl von Flüchtlingen aufgenommen". In Anerkennung dessen habe Österreich von einer zeitlichen Ausnahmeregelung profitiert. Allerdings, so fügte sie hinzu: "Nun wird von Österreich erwartet, seine Verpflichtungen vollständig im Rahmen der Relocation umzusetzen". Kein Land könne sich aus der Umverteilung zurückziehen. Dies wäre nur möglich, wenn ein Land außerhalb des gesetzlichen Rahmens agiere. Dabei seien Konsequenzen nicht ausgeschlossen.
6000 Flüchtlinge aus Italien warten auf Umverteilung in EU
Ungeachtet der inner-österreichischen bzw. österreichisch-europäischen Streitigkeiten, warten derzeit 6000 registrierte Flüchtlinge in Italien auf eine Umverteilung gemäß des europäischen Relocation-Programms. Dies betonte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos nach Angaben italienischer Medien. Weitere 20.000 Flüchtlinge in Griechenland sollten auf andere EU-Länder aufgeteilt werden. Diese Zahl könnte noch wachsen: "Es gibt keine Entschuldigungen mehr. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen die Umverteilungspolitik umsetzen, es gibt keine Zeit zu verlieren", sagte der EU-Kommissar. Ziel sei es, dass monatlich 3000 Flüchtlinge Griechenland verlassen. Weitere 1500 Flüchtlinge sollen monatlich aus Italien andere EU-Länder erreichen, so Avramopoulos.
Dort, also in Italien, nahm am Dienstag übrigens die ausländerfeindliche Oppositionspartei Lega Nord (die enge Bande zur FPÖ hat) den "österreichischen Ball" auf und warnte vor einer Überflutung Italiens durch Migranten. "Ich verstehe ein ernst zu nehmendes Land wie Österreich, das sich vor einer unaufhörlichen Flüchtlingswelle schützen will", sagte Lega Nord-Chef Matteo Salvini. "In drei Jahren sind 500.000 Migranten in Süditalien eingetroffen. Dabei sind nur fünf Prozent wirkliche Flüchtlinge, die anderen sind Wirtschaftsmigranten", so Salvini.
Die Tatsache, dass Österreich nicht wie angekündigt 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Italien aufnehme, betrachtet Salvini nicht als Problem. "90 Prozent der Migranten, die sich als minderjährig erklären, sind es nicht. Sie behaupten 16, oder 17 Jahre alt zu sein, sind in Wahrheit wesentlich älter", so Salvini.
Relocation
Das sogenannte Relocation-Programm ist auf zwei Jahre angelegt und läuft im September 2017 aus. Bei der Abstimmung im September 2015 im EU-Innenministerrat hatten vier Länder (Ungarn, Rumänien, Slowakei und Tschechien) gegen den Umverteilungsplan gestimmt, Finnland enthielt sich. Trotzdem ist von den vier Ablehner-Staaten nur Ungarn bei der Nullquote geblieben. Rumänien, die Slowakei und Tschechien nahmen doch Flüchtlinge aus Italien und Griechenland auf, wenn auch mit Ausnahme Rumäniens nur sehr wenige.
Insgesamt gab es bis Ende Februar nur 13.546 Flüchtlingsaufnahmen. Das sind 14 Prozent der vorgesehenen Umsiedlung von 98.255.
Österreich ist nach dem Umverteilungsraster zur Aufnahme von 1953 Flüchtlingen verpflichtet. Polen müsste 6182 aufnehmen, Ungarn 1294 - Stand bei beiden ist null. In Tschechien wurden von den vorgesehenen 2691 bisher zwölf übernommen. Spitzenreiter beim Erfüllungsanteil ist hingegen Malta mit 73 Prozent, gefolgt von Finnland und Lettland.
(APA/Red.)