Sebastian Kurz beklagt wie die EU-Grenzschutzorganisation Frontex, dass NGOs den Schleppern in die Hände spielen. Die Hilfsorganisationen fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen.
Um 22 Uhr trifft der Anruf der italienischen Küstenwache beim Team von „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) ein. Die Koordinationsstelle der „Guardia Costiera“ in Rom bittet um „sofortigen“, Einsatz des MSF-Schiffs „Aquarius“. Auf hoher See, einige Seemeilen von der libyschen Küste entfernt, seien von einem Schlauchboot aus Notsignale gesendet worden. Die italienischen Behörden geben eiligst die Koordinaten durch, ein Schiff der Guardia Costiera steht nicht zur Verfügung. Als das von MSF-Koordinator Edward Taylor geleitete Team am Unglücksort eintrifft, bietet sich ein Bild des Schreckens: Nicht ein Boot, sondern sechs wackelige Barken schwimmen in den unruhigen Gewässern – instabile Gefährte, vollgepackt mit Menschen. Rauch steigt aus einem der Boote empor, der Gestank verpestet die stockfinstere Nacht, die Luft riecht nach Kerosin und verbranntem Plastik.
„Ein Alptraum“, war laut Taylor diese Horror-Nacht des 25. März. „Es war chaotisch, wir wussten, dass wir alleine niemals all die Menschen retten können“, schildert er der „Presse“. Taylor kontaktiert nochmals die Küstenwache. Die wiederholt, kein Schiff schicken zu können. Stattdessen werden andere Hilfsorganisationen zur Unterstützung der "Aquarius" gesendet. Mehr als tausend Personen müssen die Helfer retten. Taylors kleine, 16-köpfige "Aquarius"-Crew – darunter nur ein einziger Arzt – versorgt 646 unterkühlte und zum Teil völlig dehydrierte Menschen. Zehn Frauen sind schwanger. 207 Kinder sind dabei, sieben von ihnen sind nicht einmal fünf Jahre alt. Außer einer Frau, die die Kerosin-Vergiftungen nicht überlebt, werden alle Menschen gerettet. „In unseren letzten beiden Einsätzen wurden wir fast allein gelassen“, konstatiert Taylor bitter.