Brexit: „Thank you and goodbye“

Britain´s permanent representative to the European Union Tim Barrow leaves after he delivered British Prime Minister Theresa May´s Brexit letter to EU Council President Donald Tusk in Brussels
Britain´s permanent representative to the European Union Tim Barrow leaves after he delivered British Prime Minister Theresa May´s Brexit letter to EU Council President Donald Tusk in Brussels(c) REUTERS (YVES HERMAN)
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Die britische Premierministerin, Theresa May, gab sich zum offiziellen EU-Abschied betont konziliant und versprach eine „tiefe und besondere Partnerschaft“, die Sicherheit und Wirtschaft einschließt.

London/Brüssel. Sechs Seiten lang ist der Brief, den der britische Botschafter Tim Barrow am Mittwoch in Brüssel übergeben hat. Die britische Premierministerin, Theresa May, versuchte darin, keine verbrannte Erde zu hinterlassen. Großbritannien strebe in Wirtschafts- wie auch in Sicherheitsfragen weiterhin eine enge Partnerschaft mit der EU an, versicherte sie. „Wir wollen, dass Europa stark und erfolgreich bleibt.“

Nach 44-jähriger Mitgliedschaft war am Tag der Übergabe des offiziellen Austrittsdokuments auf beiden Seiten Wehmut zu verspüren. „Was soll ich noch sagen?“, zeigte sich EU-Ratspräsident Donald Tusk, der das Dokument entgegennahm, kurzsilbig. „Wir vermissen euch jetzt schon. Thank you and goodbye – Danke und auf Wiedersehen.“

Der Anfang vom Ende der britischen EU-Mitgliedschaft hat begonnen. In einer Rede vor dem Unterhaus in London erklärte May: „In Übereinstimmung mit dem Wunsch des britischen Volks verlässt das Vereinigte Königreich die Europäische Union. Das ist ein historischer Augenblick, von dem es kein Zurück gibt.“ Es ist das erste Mal in der 60-jährigen Geschichte der europäischen Einigung, dass ein Land einen Antrag auf Ausscheiden stellt.

Dieser Prozess dürfte alles andere als einfach werden. Auch wenn Großbritannien seit dem Beitritt zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1973 immer ein zurückhaltender und skeptischer Partner war, sind seither enge wirtschaftliche, politische und auch menschliche Beziehungen entstanden. So gehen 45 Prozent aller britischen Exporte in die EU. Ein Netz, das in mehr als vier Jahrzehnten gesponnen wurde, muss nun in zwei Jahren aufgelöst werden.

Angesichts dieser Aufgabe gab sich May in ihrer Rede vor dem Unterhaus in London konziliant und kompromissbereit. Wiederholt erklärte sie: „Wir verlassen die europäischen Institutionen, nicht Europa.“ Ihre Aussage „Vielleicht mehr als je zuvor braucht die Welt heute die liberalen, demokratischen Werte Europas. Das sind Werte, die Großbritannien teilt“ wurde zur sichtlichen Irritation der Regierungschefin von Hohnlachen der Opposition unterbrochen. Ausdrücklich betonte May an die Adresse der bisherigen europäischen Partner, dass London einen „sanften und geordneten Brexit“ wolle und nach dem Austritt eine „tiefe und besondere Partnerschaft“ mit der EU anstrebe. Der eigenen Bevölkerung aber wollte sie angesichts der zu erwartenden Differenzen und Einschnitte auch Optimismus vermitteln: „Unsere besten Tage liegen vor uns.“

Zwar blieb May Details zu den Verhandlungspositionen schuldig, stellte aber zwei Dinge klar: „Die EU-Führer haben uns erklärt, dass es kein Rosinenklauben geben könne. Wir akzeptieren das.“ Großbritannien werde aus dem Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten ausscheiden und die Kontrolle über seine Gesetze und Grenzen wieder an sich nehmen. Rund 21.000 EU-Regeln will London vorerst in nationales Recht übernehmen, um sie nach und nach auszuscheiden.

Sicherheit für EU-Bürger im Land

Zum Zweiten kündigte May „die rasche Garantie der Rechte“ der EU-Bürger in Großbritannien an. Dies sei „eine unserer ersten Prioritäten“ in den Verhandlungen. Über die künftige Einwanderungspolitik ihres Landes hielt sich die Premierministerin ebenso bedeckt wie über andere Positionen wie etwa die Wirtschaftsbeziehungen. Die heikle und strittige Frage der Ausstiegszahlungen – Brüssel dürfte von London Nachzahlungen von bis zu 60 Milliarden Euro verlangen – blieb gänzlich unerwähnt. Für heute, Donnerstag, kündigte die britische Regierung die Vorlage eines „Weißbuchs“ an, in dem sie ihre weitere Vorgangsweise darlegen will.

Der wenige Minuten vor Mays Rede an EU-Ratspräsident Tusk übergebene Brief enthielt wenig weitere Einzelheiten. In dem Schreiben betonten die Briten ihre Bereitschaft zu „konstruktiven, respektvollen und vom Geist ehrlicher Zusammenarbeit getragenen“ Verhandlungen. Erwartungsgemäß drängt London auf Parallelverhandlungen über den EU-Austritt und die künftigen Beziehungen und schlägt ein „umfassendes Freihandelsabkommen“ vor. Wie May in ihrer Rede betont auch der Brief mehrfach Großbritanniens fortbestehende Bereitschaft, in der europäischen Sicherheitspolitik eine zentrale Rolle zu spielen: „Es würde uns alle schwächen, sollten wir im Kampf gegen den Terrorismus und die Kriminalität keine Einigung erreichen“, hieß es.

Dass der Austritt viele Briten emotional bewegt, belegt eine Umfrage des Fernsehsenders Sky. Demnach zeigen sich 36 Prozent über den Beginn des Brexit betrübt. Dafür jubilierten die EU-Gegner. Als „überglücklich“ bezeichnete sich der konservative Ex-Minister John Redwood, der seit 30 Jahren gegen Europa gearbeitet hatte – oft auch gegen die eigene Regierung. Aus den Reihen der rabiaten EU-Gegner droht May mit einem konzilianten Kurs auch die größte Gefahr. Gegen derartige Querschüsse erklärte sie schon gestern: „Wir werden im Namen aller in Großbritannien lebenden Menschen verhandeln.“

Als nächsten Schritt wird Tusk einen Entwurf der Richtlinien für die Austrittsgespräche präsentieren. Die Staats- und Regierungschefs der EU-27 werden bei einem Sondergipfel am 29. April die Verhandlungsposition der Union fixieren und die Kommission mit der Verhandlungsführung betrauen. Chefunterhändler der Brüsseler Behörde ist der Franzose Michel Barnier. Ein ermutigendes Zeichen kam zuletzt aus London: Der britische Verhandlungsführer, David Davis, nennt sein EU-Gegenüber Barnier neuerdings in der Öffentlichkeit nur mehr vertraulich mit seinem Vornamen, Michel.

BREXIT

Mit der Briefübergabe steht der Zeitpunkt des britischen EU-Austritts fest: 29. März 2019, Punkt Mitternacht. Bis dahin ist viel zu tun. Die Verhandlungsposition der EU-27 wird bei einem Sondergipfel am 29. April festgelegt und muss anschließend ratifiziert werden – sodass die Brexit-Verhandlungen voraussichtlich im Juni beginnen können. Bis zum Spätherbst 2018 müssen sie unter Dach und Fach sein – das Verhandlungsergebnis muss nämlich anschließend von der EU, ihren Mitgliedern und den Briten ratifiziert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2017)

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