Deutsche Ermittlungen gegen den türkischen Geheimdienst sorgen für Ärger. Auch eine SPD-Abgeordnete wurde ausspioniert.
Istanbul. Kaum hat sich der Streit um Auftrittsverbote für türkische Politiker in Europa gelegt, deutet sich neuer Krach zwischen der Türkei und ihren westlichen Partnern an. Die Ermittlungen der deutschen Bundesanwaltschaft gegen den türkischen Geheimdienst MIT lösten am Mittwoch bei Anhängern von Präsident Recep Tayyip Erdoğan heftige Empörung aus. „Erdoğan-Feindschaft ist zu einer Mode geworden“, sagte Ministerpräsident Binali Yıldırım bei einer Wahlkampfkundgebung über die Lage in der EU. Die Europäer sollten sich gefälligst aus den inneren Angelegenheiten der Türkei heraushalten.
Mehrere regierungstreue Zeitungen schimpften über einen „Verrat“ Deutschlands. Es geht dabei darum, dass der MIT am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz dem Chef des Bundesnachrichtendienstets (BND) Informationen über rund 300 Menschen und Einrichtungen mit Bezug zur Bewegung des Geistlichen Fethullah Gülen weitergegeben hat. In dem Papier sollen neben Einzelpersonen auch mehr als 200 angeblich der Gülen-Bewegung zuzuordnende Vereine, Schulen und andere Institutionen benannt werden. Der BND gab die Erkenntnisse an die deutschen Behörden weiter, die den Vorgang schließlich öffentlich machten.
Am Mittwoch berichteten deutsche Medien zudem, dass der MIT auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering ausspioniert habe. Ihr würden von türksicher Seite „gute Beziehungen“ zur Gülen-Bewegung vorgeworfen.
Ankara wirft Europa vor, die Bewegung des Erdoğan-Erzfeindes Gülen zu unterstützen. Die Politologin Nursin Ateşoğlu Güney sagte dem Erdoğan-freundlichen Blatt „Star“, Europa wolle eine Türkei, die von außen leicht zu steuern sei, und werbe deshalb für eine Ablehnung von Erdoğans Präsidialplan bei der Volksabstimmung am 16. April.
Referendum: Ausgang ungewiss
Erdoğan hatte die Spannungen mit dem Westen in jüngster Zeit eskalieren lassen, um nationalistische Wähler für das anstehende Referendum zu motivieren. Laut Umfragen ist der Ausgang der Volksabstimmung aber immer noch ungewiss; jeder zehnte Wähler hat sich noch nicht entschieden. In der Endphase des Wahlkampfes werden verstärkte Bemühungen von Erdoğan und seinen Gegnern in den Großstädten des Landes erwartet: Der Kolumnist Murat Yetkin wies in der „Hürriyet“ darauf hin, dass die Wahlentscheidung in den Metropolen fallen wird, nicht auf dem flachen Land – allein in Istanbul lebt jeder fünfte Wähler der Türkei. AKP-Vertreter waren zuletzt mit der Einschätzung zitiert worden, in Istanbul hätten die Gegner des Präsidialsystems die Mehrheit.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2017)