Die moralische Reisekrankheit

(c) APA/AFP/OZAN KOSE
  • Drucken

In Zeiten von Trump und Erdoğan muss man sich fragen, ob Politik bei einer apolitischen Entscheidung wie Urlaub eine Rolle spielen soll - oder sogar muss?

Das Jahr 2016 wird als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem Hunderttausende Menschen aus Angst vor Terroranschlägen kurzfristig ihre Urlaubspläne änderten. Nicht mehr kilometerlange Strände waren das Kriterium, sondern Sicherheit und Stabilität. Was wird heuer bei der Auswahl ausschlaggebend sein? Möglicherweise die Frage, ob der Urlaub auch politisch korrekt ist.

Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in der Türkei und in den USA muss man sich fragen, ob nicht auch die Politik bei solch einer apolitischen Entscheidung wie dem Urlaub eine Rolle spielen soll – oder vielleicht sogar muss? „So dezidiert gegen eine Destination war ich zuletzt bei Südafrika während der Apartheid-Politik“, meinte der ehemalige TUI-Manager Karl Born jüngst zu einem Urlaub in der Türkei. Die Mehrheit der Deutschen – und wohl auch der Österreicher – denkt laut einer Umfrage wie Born. Will man tatsächlich in einem Land am Strand liegen und entspannen, dessen Präsident den heimischen Politikern Nazi-Methoden unterstellt, die Pressefreiheit einschränkt, die Opposition unterdrückt und massenweise unliebsame Journalisten einsperren lässt?

In Washington sitzt wiederum ein Politiker, der am liebsten sofort einen Grenzzaun zu Mexiko hochziehen und bestimmten Nationalitäten pauschal die Einreise verweigern würde. Das Verhalten hat bereits Folgen, Branchenanalysten sprechen von einem „Trump slump“ im Tourismus, von einem verlorenen Jahrzehnt, wie es die USA zuletzt nach den Terroranschlägen von 9/11 hatten. 185 Millionen Dollar an entgangenen Buchungseinnahmen soll der Präsident dem 250 Mrd. Dollar schweren US-Wirtschaftszweig in seinen ersten Wochen im Amt gekostet haben. Im November fand sich die US Travel Association noch unter den ersten Gratulanten Trumps. Mit einem Mann, der Hotelpaläste baut, dachte man, den Richtigen im Weißen Haus zu haben. Wenige Wochen nach seiner Angelobung ist die Branche von ihrem Hoteliers-Präsidenten nicht mehr so überzeugt.

Natürlich trifft ein Boykott nie nur das Regime allein, sondern im Gießkannenprinzip viele kleine Unternehmen: Hoteliers, Gastronomie, Reiseführer – Tausende Menschen leben von der Pauschaltourismus-Maschinerie. Trotzdem: Will man eine Regierung – ob in der heutigen Türkei, in den USA oder vor 1994 in Südafrika – finanziell unterstützen, deren Umgang mit Menschen anderer Hautfarbe oder anderen Glaubens, mit politischen Gegnern, kritischen Medien, oder generell mit jedem, der nicht euphorisch das jeweilige Staatsoberhaupt lobt – hier Recep Tayyip Erdoğan, dort Donald Trump – so gar nicht unterstützenswert ist? Und das System dadurch länger am Leben erhalten?


Wandel gibt es in einer Demokratie dann, wenn sich die Menschen gegen ihre politische Führung stellen. Und das passiert nur, wenn das Handeln der Staatsspitze spürbare Konsequenzen hat: Sei es durch ein Ende der Beitrittsgespräche mit der EU, wie das etwa Österreichs Außenminister Sebastian Kurz für die Türkei fordert, sei es durch wirtschaftliche Maßnahmen, mit denen die EU auf Trumps Protektionismus reagieren will. Oder sei es dadurch, dass man diese Länder nicht besucht und damit einen wichtigen Wirtschaftszweig unter Druck setzt.

Das wäre ein Schlag für die Tourismusbranche, die sich so gern betont unpolitisch gibt und die von sich aus – aus nachvollziehbaren Gründen – keinen Boykott plant, sondern darauf hofft, dass der Reisende kein Langzeitgedächtnis hat. Last minute macht man den Schaden schon wieder gut.

Es bleibt die Entscheidung jedes einzelnen, ob er seine Weltkarte aus ethischen Erwägungen vorübergehend eingrenzt. Man kann es niemandem vorwerfen, wenn er den politischen Alltag in den Ferien ausblenden oder wirtschaftlich die Chance nützen will, so billig wie nie mit der Familie an die leere türkische Riviera zu fahren. Politische Korrektheit muss man sich auch leisten können. Für alle anderen aber sollten die politischen Verhältnisse bei der Auswahl des Urlaubslandes eine ähnliche Rolle spielen wie schöne Strände.

E-Mails an:antonia.loeffler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.