Der Terror zeigt: Russland ist nicht so stabil, wie es scheint

Russland im Visier des Terrors. Nach dem Überfall in Beslan 2004 werden Kinder in Sicherheit gebracht.
Russland im Visier des Terrors. Nach dem Überfall in Beslan 2004 werden Kinder in Sicherheit gebracht.(c) REUTERS (VIKTOR KOROTAYEV)
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Nach Jahren der Ruhe ist der Terror in Russland zurück. Politischen Schaden wird er nicht anrichten.

Wien. Bei allen Gräben, die in den vergangenen drei Jahren zwischen Russland und dem Westen aufgerissen wurden und bei denen sich die russische Staatsführung unter Verletzung jeglicher Diplomatie auch kein Blatt vor den Mund genommen hat, war eines immer auffällig: Ereignete sich in Europa ein Terroranschlag, war Kreml-Chef Wladimir Putin immer einer der Ersten, die ihren Amtskollegen kondolierten.

Das kann taktischer Natur sein. Es kann aber auch dem Wissen entspringen, was es heißt, als Staat von einer häufig unberechenbaren Minderheit attackiert zu werden. Einmal abgesehen vom Nahen Osten und Nordafrika nämlich hat auf der nördlichen Hemisphäre kaum jemand so viel Erfahrung mit Terrorismus wie Russland. Vor allem in den ersten Jahren nach Putins Machtantritt vor 17 Jahren, dem übrigens katastrophale Anschläge vorausgingen, die nie aufgeklärt wurden und daher zu Verschwörungstheorien führten, sie würden Putins Aufstieg begünstigen. Vor dem Hintergrund des folgenden zweiten Tschetschenien-Krieges explodierten in Russland Terrorbomben schier ohne Ende. Hunderte Menschen kamen dabei ums Leben – die meisten bei den Geiselnahmen in einem Moskauer Theater 2002 und in der nordkaukasischen Schule von Beslan 2004.

Russlands Achillesferse

Wie auch immer der gestrige Anschlag in der U-Bahn von St. Petersburg erklärt werden wird, eines gilt es sich vor Augen zu halten: In den vergangenen sechs, sieben Jahren blieb Russland – abgesehen von zwei Anschlägen in Moskau 2010 und in Wolgograd 2013 – vom Terror verschont.

Sagt man Russland, muss man freilich differenzieren: Denn auch wenn die Bevölkerung das Ausbleiben von Terror in den meisten Gebieten zu Recht als Stabilität erlebt, zeigen die Zustände im Nordkaukasus, dass sie de facto nicht überall im Land herrscht. Da hilft es auch nichts, dass Russen ihre nordkaukasischen Republiken quasi als fernes und fremdes Stück Erde wahrnehmen. Ebendort herrschen andere Gesetze. Ebendort wurde zwar mit brutaler Hand von Moskaus lokalen Statthaltern relative Ruhe hergestellt. Wie aber Vorfälle wiederholt zeigen, ist die islamistische Radikalisierung nicht gebannt. Die Spannungen gärten unter der Oberfläche weiter. Der Nordkaukasus ist und bleibt Russlands Achillesferse. Erst vor gut einer Woche wurden sechs russische Nationalgardisten bei einem Angriff auf ihre Kaserne in der Unruheregion Tschetschenien getötet.

Hatten Verbindungen nordkaukasischer Rebellen zu islamistischen Ländern immer schon bestanden, so gelobte die nordkaukasische Aufstandsbewegung im Jahr 2015 sogar der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Treue. Gerade tschetschenische Kämpfer, berühmt für ihre hohe Gewaltbereitschaft und Brutalität, wurden zu einer wichtigen Stütze des IS in Syrien und im Irak. Auch unter den von Österreich nach Syrien gereisten Kämpfern bildeten tschetschenische Asylanten und Asylwerber den größten Teil.

Am Montag ist also der Terror nach „Kern-Russland“, wenn man so sagen kann, zurückgekehrt. Zum ersten Mal schlugen Täter dabei in St. Petersburg zu – wohlgemerkt Putins Heimatstadt. Details zu den Hintergründen waren gestern noch nicht bekannt. Aber die Erklärungsvariante, dass es sich auch um einen ersten Racheakt für die Involvierung Russlands in Syrien handeln könnte, ist nicht gänzlich aus der Luft gegriffen.

Dass sich Putin gestern selbst in St. Petersburg aufgehalten hat und dass er sich seit gut einer Woche den ersten nennenswerten innenpolitischen Protestmärschen ausgesetzt sieht, muss mit den Anschlägen absolut nichts zu tun haben. Eines aber ist klar: In die fast schon gespenstische innenpolitische Totenstille ist plötzlich etwas Unruhe gekommen. Aber noch etwas ist klar: Erfahrungsgemäß wird der Terror Putin politisch nicht schaden.

ANSCHLÄGE IN RUSSLAND

Im Jänner 2011 wurde der Moskauer Flughafen Domodedowo Schauplatz eines Bombenanschlages. Mit den beiden Selbstmordattentätern, die wohl Verbindungen nach Tschetschenien hatten, starben 36 Menschen. Ebenfalls bei zwei Anschlägen wurden im August 2004 in Domodedowo 90 Passagiere in eben gestarteten Flugzeugen getötet. Auch andere Verkehrsmittel waren immer wieder Ziel von Terrorgruppen. Im März 2010 verübten zwei Frauen Attentate in der Moskauer U-Bahn, 40 Menschen kamen ums Leben. Tschetschenische Rebellen bekannten sich zu der Tat, wie auch zu dem Anschlag auf einen Zug zwischen Moskau und St. Petersburg im November 2009. Dabei wurden 28 Menschen getötet. In den russischen Teilrepubliken kommt es immer wieder zu blutigen Unruhen und Anschlägen. So krachte in Inguschetien ein Selbstmordattentäter im August 2009 mit einem mit hochexplosivem Material gefüllten Lkw in eine Polizeistation, 25 Menschen starben. Für weltweites Entsetzen sorgte die Geiselnahme in Beslan in Nordossetien im September 2004: Damals drangen tschetschenische Rebellen in eine Schule ein. Mit der Erstürmung der Einsatzkräfte begann das Blutbad: Über 330 Tote. Der tschetschenische Präsident Ahmad Kadyrow starb bei einem Bombenanschlag in Grosny im Mai 2004. Tschetschenische Separatisten führten im Oktober 2002 eine Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater durch. Vor der Erstürmung pumpten Einheiten eine spezielle Chemikalie in das Theater. 129 Geiseln starben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2017)

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