Familienbeihilfe: Doch noch kein nationaler Alleingang

Traten dieses Mal wieder gemeinsam – und nebeneinander – auf: Kanzler Christian Kern (links) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nach dem Ministerrat.
Traten dieses Mal wieder gemeinsam – und nebeneinander – auf: Kanzler Christian Kern (links) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nach dem Ministerrat.(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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Die Kürzung der Gelder, die in andere EU-Länder fließen, soll noch nicht im Parlament beschlossen werden: Zuerst will die Regierung in Brüssel für eine Änderung plädieren.

Wien. Gut, dass das Pressefoyer live im Internet übertragen wird. Nicht nur für Journalisten, die beim wöchentlichen Auftritt nach dem Ministerrat nicht anwesend sein können. Oder für interessierte Bürger. Nein, auch für das eine oder andere Regierungsmitglied kann sich der Livestream als nützlich erweisen.

Wie zum Beispiel gestern, Dienstag, nach der Ministerratssitzung: Da verkündete Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) unerwartet, dass man bei der Kürzung der Familienbeihilfe für Kinder im EU-Ausland derzeit noch keinen nationalen Alleingang plane. „Allein auf Basis eines Gutachtens – es gibt auch andere Rechtsmeinungen dazu – werden wir jetzt nicht die Umsetzung in Österreich machen“, erklärte er. Nachsatz: „Die Einstellung ,wir riskieren und lassen uns klagen' ist nicht unbedingt meine oder unsere.“

Familienministerin Sophie Karmasin dürfte nach dieser Aussage irritiert, zumindest aber überrascht gewesen sein: Denn bisher war die Linie ihres Ressorts eine andere. Seit Wochen machte sie gemeinsam mit dem schwarzen Klubobmann Reinhold Lopatka beim Koalitionspartner Druck: Die SPÖ sollte dem Gesetzesvorschlag so schnell wie möglich zustimmen. Eltern, die in Österreich arbeiten, sollten demnach zwar auch weiterhin Familienbeihilfe für ihre Kinder erhalten, die in einem anderen EU-Land leben. Aber an die dortigen Lebenserhaltungskosten angepasst.

Karmasins Gutachten

Nach Karmasins Plänen hätten sich die Regierungsparteien schon im März einigen sollen, damit die Änderungen noch vor dem Sommer in Kraft können. Auf Skepsis angesprochen, ob die Novelle mit EU-Recht vereinbar sei, verwies die Ministerin stets auf ein Gutachten von Sozialrechtler Wolfgang Mazal. Demnach würde ein nationaler Alleingang rechtlich halten.

Mitterlehner selbst präzisierte am Dienstag später seine Aussagen: „Ein nationales Vorgehen ist weiter eine Möglichkeit“, betonte er. Man werde sich aber zunächst auf europäischer Ebene für die Pläne einsetzen und „unsere Rechtsmeinung fundiert vertreten, wie es im Regierungsprogramm vorgesehen ist“, erklärte er. Was Mitterlehner damit meint: Im neuen Arbeitspakt „bekennt sich die Regierung dazu“, sich auf europäischer Ebene für legistische Änderungen einzusetzen. Von einem Alleingang ist nichts zu lesen, dennoch trat die Regierung in den vergangenen Wochen dafür ein. Die SPÖ bremste zwar bei dem Beschluss, erklärte sich aber grundsätzlich auch dafür bereit.

Und nun? Der Vorschlag, den man in Brüssel vorlegen will, sei „gerade im Werden“, erklärte Kanzler Christian Kern (SPÖ). Es handle sich nicht um ein politisches Problem, sondern eine „diffizile juristische“ Angelegenheit.

EU: Einheitliches Vorgehen

Mit diesem Vorgehen will die Regierung wohl ihr Verhalten gegenüber Brüssel vereinheitlichen. Was für das Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge gilt, soll also auch bei der Familienbeihilfe angewandt werden. Sprich: Auf EU-Ebene die eigene Meinung vertreten, aber kein Vertragsverletzungsverfahren anstoßen. Österreich will (nach Streiterein in der Regierung) keine Flüchtlinge aus Italien oder Griechenland aufnehmen.

Von Streit wollten Kern und Mitterlehner am Dienstag ohnehin nichts mehr wissen. Sie stellten sich ausnahmsweise sogar demonstrativ hinter zwei Podien, um Fragen zu beantworten. Vor einer Woche war die Lage beim Ministerrat noch eskaliert: Während Kern Interviews gab, pirschte sich Mitterlehner von hinten an und crashte den medialen Auftritt.

Dieses Mal nahm sich die Regierung (ein weiteres Mal) vor, die Streitereien sein zu lassen. Erfolge in der Regierungsarbeit gebe es genügend, meinte Mitterlehner. „Wir nehmen uns entsprechend vor, es besser zu verkaufen.“ Kern wollte den Regierungsstreit gar nicht kommentieren: „Ehrlich gesagt, will ich diese Fragen gar nicht mehr beantworten“, meinte er.

„Kern hat Ultimatum gestellt“

Dafür beschrieb Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) die Stimmung in der Regierung: „Man muss mit dem zufrieden sein, was man hat.“ Allerdings sei es Kern gewesen, der der ÖVP ein Ultimatum gestellt hatte. Mit Befindlichkeiten wolle er sich aber nicht herumschlagen. „Ich muss arbeiten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2017)

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