Kroatien: Hart am Wind in Richtung Europäische Union

Kroatien: Hart am Wind in Richtung Europäische Union
Kroatien: Hart am Wind in Richtung Europäische Union(c) AP (Filip Horvat)
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Nicht überall ist das balkanische Musterland so musterhaft wie im Tourismus. Korruption blüht bis in hohe Politkreise. Das Ende des Grenzstreits mit Slowenien rückt einen EU-Beitritt 2011 aber in Reichweite.

Zur Sommerzeit beginnen die Nachrichten in Kroatien immer mit einem Thema: Tourismus. Während tausende Autos sich an den Mautstellen stauen und erholungssuchende Touristen unter brütender Hitze leiden, werden von den Polizisten akribisch die Staukilometer gezählt. Und je länger die Staus ausfallen, desto größer die Genugtuung bei den Nachrichtensprechern.

Lange Staus verheißen reiche Touristenernte – und damit Einnahmen, von denen viele Familien das ganze Jahr noch zehren. Ohne den Tourismus wäre der Staat bankrott. Über 20Prozent des Bruttosozialprodukts werden mit dem Tourismus erwirtschaftet.

Als Ende Juni kaum Staus zu sehen waren, sank die Stimmung kurzzeitig auf den Tiefpunkt. Mürrische Kellner blickten über die wenigen Gäste, das Heer von Privatvermietern sah sich schon am finanziellen Abgrund. Die Finanzkrise sei schuld an dem Desaster, analysierten die Zeitungen und berichteten breit darüber, dass sogar bei den reisefreudigen Österreichern und Deutschen jetzt die Euros zusammengehalten werden. Als dann Anfang Juli die Staus länger und länger wurden, rangen sich sogar die sonst sehr ernsten Dalmatiner ein Lächeln ab.

Tourismus als Gradmesser

Am Ende konnten alle zufrieden sein, es war fast eine neue Rekordernte eingefahren worden. Langsam zeigt sich auch, dass die Verbesserung der Infrastruktur Früchte trägt. Nicht nur die Autobahn Zagreb–Split, vor allem auch die verbesserten Angebote haben den Tourismus beflügelt. Diversifikation ist die Devise, endlich werden Wanderwege angelegt oder verbessert, Häfen für Segler und Jachten erweitert, und auch die Wellnesswelle hat nun Kroatien erreicht.

An der Entwicklung des Tourismus kann die Entwicklung des Landes im letzten Jahrzehnt abgelesen werden. Kroatien war nach dem Krieg 1995 und der lähmenden Zeit unter dem bis Ende 1999 herrschenden Präsidenten Franjo Tudjman wahrlich kein Ferienland, es lag wirtschaftlich am Boden. Während Slowenien wieder den Vorkriegsstandard erreicht hatte und seine Fühler nach Europa ausstreckte, siechte Kroatien wirtschaftlich und politisch dahin. Doch seit der Jahrtausendwende hat sich das Blatt gewendet.

Hoher Lebensstandard

Mit dem Sieg des volkstümlich auftretenden Stipe Mesi? bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 zog frische Luft in die Regierungsgebäude in Zagreb ein. Der immer witzige, immer auch gesellschaftliche Missstände ansprechende Mesi? erwies sich als Glücksfall. Während seiner zwei Amtsperioden hat sich das Antlitz des Landes dramatisch gewandelt. Positiv war auch, dass es dem ab 2004 regierenden Premier Ivo Sanader gelungen ist, Tudjmans HDZ in eine konservative Volkspartei umzuwandeln. Nach seinem Rücktritt wird das Land heute von einer Frau, Jadranka Kosor, regiert. Und auch die sozialdemokratische Opposition hat frische Gesichter hervorgebracht. Kroatien scheint zumindest nach außen eine moderne und stabile Demokratie auf dem Weg nach Europa zu sein.

Der Lebensstandard in Kroatien ist wesentlich höher als in den südlicher liegenden Balkanländern. Und doch geht es mit der Wirtschaft nicht so voran, wie es vorangehen könnte. Die einstmals konkurrenzfähige Werftindustrie hat auf dem Weltmarkt den Anschluss verloren und kann sich nur mit Staatshilfe halten. Die Lebensmittelindustrie ist zwar in die Gänge gekommen, der hohe Kurs der Währung Kuna erschwert jedoch Exporte. Nur zehn Prozent der Industrie ist exportorientiert. Die Investitionen aus dem Ausland gingen an erster Stelle in den Bankensektor, nicht in die produktive Industrie. Und sie sind in letzter Zeit sogar wieder rückläufig.

Schon 2003 gelang es Mesi?, erste Weichen für die EU-Integration zu stellen und die euroskeptischen Kroaten dafür zu gewinnen. Mittlerweile ist das Land in der Nato. Der jüngste Fortschrittsbericht der EU enthält zwar auch Lob für Kroatien, bemängelt aber das immer noch fragwürdige Justizsystem und mangelnde Flexibilität in der Verwaltung. Die EU fordert größere Anstrengungen im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen sowie Verbesserungen für die Minderheiten.

Korruptes Justizsystem

Die schwerfällige Bürokratie und das Justizsystem sind in der Tat ein Wachstumshemmer. Viele Eigentumsfragen bleiben ungeklärt, weil die Gerichte überlastet sind und die Verfahren zu lange dauern. Über eine Million Verfahren stehen an, obwohl das Land über die höchste Richterdichte Europas verfügt. Schlecht steht es mit der Aufsicht über die Juristen. Wer einmal in Amt und Würden ist, hat eine Stellung auf Lebenszeit, selbst wenn Verfehlungen ruchbar werden. Gerade das Justizsystem hat den Ruf, besonders korruptionsanfällig zu sein.

Potenzielle Anleger schrecken vor Investitionen zurück, weil die Bürokratie immer wieder neue Hürden aufbaut. Sogar die Nationalbank kritisiert dies. Kroatien sei deshalb für ausländische Geldgeber nicht attraktiv, sagt ein Sprecher kürzlich. Dennoch hat sich seit zwei Jahren bei „normalen Behördengängen“ einiges getan. Die Bürokratie wurde verschlankt und arbeitet effektiver als zuvor.

Der scheidende Präsident Mesi? erklärte kürzlich, der Fisch stinke vom Kopfe her. Und meinte damit die Korruptionspraxis führender Politiker. Man müsse zuerst die Korruption ganz oben in der Bürokratie bekämpfen. Und die Strafverfolgungsbehörden reagierten endlich. In den vergangenen Wochen gab es einige Erfolge.

Ex-Verteidigungsminister Ron?evi? muss sich verantworten, nach schweren Korruptionsvorwürfen ist nun Vizepremier Polan?ec zurückgetreten. Und rund ein Jahr nach der Ermordung des kroatischen Journalisten und Zeitungsverlegers Ivo Pukani? wurden in Zagreb Anklagen gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen bekannt gegeben.

Aussicht auf Beitritt gestiegen

Trotz dieser Erfolge wird es schwer sein, die Anforderungen der EU an die Modernisierung des Justizsystems zu erfüllen. Doch Mesi? will noch vor dem Ende seiner Amtsperiode der EU beweisen, dass sein Land dazu in der Lage ist. Und tatsächlich sind die Aussichten für Kroatien gar nicht mehr so schlecht, bereits 2011 Mitglied zu werden. Die größte Hürde, die Blockade des Nachbarn Slowenien, ist aus dem Weg geräumt: Am Mittwoch unterzeichneten die Konfliktparteien in Stockholm ein Abkommen, das die Grundlage für ein Schiedsverfahren im jahrelangen Grenzstreit bilden soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2009)

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