Geschichtsdebatte: Die Toten im kroatischen Maisfeld geben keine Ruhe

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Der Fund von Massengräbern aus der Zeit gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hat in Kroatien alte Wunden aufgerissen. Die Nachfahren sozialistischer Partisanen und nationalistischer Usta?a streiten über Schuld und Sühne.

Kljuc Brdovecki. Ausgerechnet bei der Arbeit war Ivan Filipciv vor zwei Jahren auf den Tod im eigenen Maisfeld gestoßen. „Angenehm war's nicht“, erinnert sich der braun gebrannte Landwirt an den Tag, als er seinen Acker im kroatischen Dorf Kljuc Brdovecki zum ersten Mal mit seinem Pflug umgrub: „Plötzlich sah ich das zerstörte Skelett im Acker.“ Überrascht war der Kroate von seinem grausigen Fund indes keineswegs: „Jeder im Dorf wusste, dass hier die Toten liegen.“

Als Bauer Ivan den Toten aus der Erde pflügte, schrieb Journalist Marinko Brki?-Tot zum ersten Mal über „die Knochen, die aus der Erde kommen“. Auf einer Anhöhe weist der sehnige Jungreporter der Zagreber Zeitung „Jutarnij List“ auf die mittlerweile mit Blumen bewachsenen Gräben im Grenzgebiet zu Slowenien: Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs sollten sie zum Grab für vermutlich 4500 Kriegsgefangene werden, darunter mehrere hundert deutsche Soldaten. Die Polizei habe die Ermittlungen vor zwei Jahren mit der „bizarren“ Begründung eingestellt, dass augenscheinlich kein Massengrab erkennbar sei. Bei keinem anderen Thema erhält der 24-Jährige „so emotionelle“ Leserreaktionen wie auf seine Geschichten über die Massengräber: „Man merkt sofort, aus welcher Familie die Absender stammen: Die Kluft zwischen Partisanen und Usta?a ist in Kroatien noch immer tief.“

Wie NS-Deutschland führte auch dessen kroatischer Vasallenstaat Rassengesetze ein: Das faschistische Usta?a-Regime proklamierte die ethnische Säuberung Kroatiens und ließ Juden, Roma und auch Serben erbarmungslos verfolgen. Den Widerstand der sozialistischen Partisanen gegen die Besatzer beantworteten Wehrmacht und Usta?a mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen. Gefangene wurden im Partisanenkrieg auf beiden Seiten kaum gemacht.

Die Wut der Partisanen über die „Sühneaktionen“ der Wehrmacht sollte sich unmittelbar nach Kriegsende nicht nur gegen deutsche Wehrmachts- und SS-Angehörige, sondern vor allem auch gegen die eigenen Landsleute in slowenischen und kroatischen Truppenverbänden richten. Vergeblich versuchten im Mai 1945 die versprengten Streitkräfte der Wehrmacht und ihrer heimischen Hilfstruppen der Armee des Partisanenführers Josip Broz Tito zu entkommen. Im österreichischen Bleiburg lieferten die Briten über 130.000 erschöpfte Soldaten und Flüchtlinge gar wieder an die jugoslawische Volksbefreiungsarmee aus. In „Todesmärschen“ stapften die Gefangenen der Partisanen in den Wochen nach Kriegsende nicht nur in die berüchtigten Lager in der Vojvodina, sondern oft auch direkt in den Tod: Ohne Prozess und Urteil wurden bei Massenhinrichtungen im kroatisch-slowenischen Grenzgebiet Zehntausende ermordet und verscharrt.

„Schreie und Schüsse“

Ein Kind von neun Jahren war der heute 73-jährige Filipciv, als im Mai 1945 drei Nächte lang ein endloser Tross an seinem Elternhaus vorbei in die Felder zog. „Wir hörten nur die Schritte der Vorbeimarschierenden, die Schreie und Schüsse.“ Es waren Angehörige der „Blauen Division“, einer kroatisch-deutschen Wehrmacht-Division, die in dieser Nacht hier erschossen wurden.

Allein im Grenzgebiet zu Slowenien hat Kroatiens Helsinki-Komitee für Menschenrechte (HHO) in den letzten Monaten neun noch ungeöffnete Massengräber lokalisiert. In Slowenien werden rund 500, in Kroatien über 800 ungeöffnete Massengräber aus dem Zweiten Weltkrieg vermutet. Die Leute hätten „oft immer noch Angst“ zu reden, „die Kriege auf dem Balkan sind leider noch stets nicht vorbei“, sagt Zvonimir ?i?ak, der Vizechef des HHO. Freunde hat er sich mit seinen Erkenntnissen kaum gemacht. Er werde nun als „Usta?a-Nostalgiker“ verunglimpft, berichtet der frühere Dissident mit einem Achselzucken.

Während die Usta?a-Verbrechen bekannt waren, galten die Partisanen nach dem Zweiten Weltkrieg ausnahmslos als Helden, so Journalist Marinko Brki?-Tot. Aufrechnen ließen sich die Morde nicht: „Wenn man über Verbrechen vermeintlicher Helden recherchiert, sticht man in ein Wespennest. Aber ein Verbrechen ist ein Verbrechen – egal, von wem und an wem es begangen wurde.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2009)

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