Stille Tage am Strand von Jesolo

Ja, leer kann der Strand in Jesolo auch sein. Zumindest von Oktober bis April.
Ja, leer kann der Strand in Jesolo auch sein. Zumindest von Oktober bis April.Florian Albert/florianalbert.net
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Der zweitgrößte Badeort Italiens ist im Sommer überlaufen, aber in der Nebensaison herrlich verwaist. Nur wenige Hotels haben in Lido di Jesolo ganzjährig geöffnet. Jetzt hat man den Liegestuhl-freien Strand (fast) für sich und ist noch schneller in Venedig.

Die blonde Frau in dem hautengen, neongelben Sportgewand ist erbost: „No Bicicletta!“ ruft sie während sie läuft. Im Juli und August wäre ihre Empörung angemessen, da sind hier Räder verboten. Aber jetzt, in der Nebensaison, ist Radfahren auf der schmalen Strandpromenade von Jesolo erlaubt. Sonst hat die Joggerin um diese Jahreszeit den Strand beinah für sich allein. Es kann passieren, dass sie auf der 15 Kilometer langen Strecke nur ein paar Hundebesitzern und anderen Läufern begegnet. Doch ein sonniger Sonntag in der Nebensaison kann schnell zur Generalprobe für die große Sommeraufführung werden. Wenn plötzlich um die Mittagszeit für ein paar Stunden Familien mit Mamma, Papà, Nonna und ein paar Bambini die Promenade bevölkern und Sonne tanken.

Die viel zu schmale Promenade von Jesolo, im Sommer überfüllt, in der Nebensaison noch recht locker besetzt. Radfahren darf man hier nur jetzt.
Die viel zu schmale Promenade von Jesolo, im Sommer überfüllt, in der Nebensaison noch recht locker besetzt. Radfahren darf man hier nur jetzt.©florianalbert.net

Jesolo ist der zweitgrößte Badeort Italiens, und er hat zwei Gesichter. Ein bekanntes, lautes, überlaufenes, das nach Sonnencreme und Pommes frites riecht und sich von Mai bis September zeigt. Und ein stilles, zurückgezogenes, beinah gediegenes im Rest des Jahres. Dabei entfaltet der Strand seine wahre Schönheit eigentlich erst in der Nebensaison, wenn die öffentlichen Liegestühle weg sind und man endlich etwas vom Sand sehen kann. Dann verliert der Ort den Sardinenbüchsen-Charakter und bekommt einen morbiden Charme.

Wie "Shining" in der Outdoor-Meeres-Version

Jetzt zieren Bretter, Pappkartons oder weiße Leintücher die Fensterfronten von Hotels und Restaurants an der Promenade. Die Tretboote parken im Trockenen, auf einer Hotelterrasse liegen die hellblauen Plastikschiffchen mit angebauten, rostigen Rutschen. Die Monturen der Strandduschen sind umwickelt mit grauen Plastiksäcken, die sie vor Frost und Rost schützen sollen. An manchen Appartementhäusern sind Verkaufsschilder angebracht: „In Vendita Diretta“. Am Ende einer Saison sind manche ihres Sommerdomizils überdrüßig. Die Szenerie erinnert an Stephen Kings „Shining“, nur in der Outdoor-Version.

Wie rau das Wetter, wie stürmisch das im Sommer stets spiegelglatte (manche würden sagen: langweilige) Meer werden kann, lässt der Schutzwall aus Sand erahnen, der von Ende November bis Ende März die Häuser an der Promenade schützen soll. Der Verfall sticht einem zu dieser Jahreszeit überall ins Auge. Dabei ist der wohl immer zu sehen, im Sommer aber (ver)blendet das Sonnenlicht. Schon auf den letzten Anreisemetern, auf der Via Riviera Sile und der Via Caposile fallen einem die vielen gelb-roten, heruntergekommenen Bauernhäuser am Straßenrand auf. Stattliche Höfe waren das einst. Heute hat die Casa Esperanza keine Fenster mehr und die Casa Florida nicht einmal mehr ein Dach; auf manchen Häusern ist nur mehr der venezianische Löwe über dem Hauseingang intakt. Jesolo glänzt und protzt nur, wenn es sich lohnt. Und zwar im Ortszentrum und an der Strandpromenade. Die Bauernhäuser im Hinterland der Halbinsel haben schon lang keinen Nutzen mehr, obwohl die Landwirtschaft in der Lagune immer noch zweitwichtigste Erwerbsquelle nach dem Tourismus ist.

Ade Hausmeisterstrand

Jesolo lebt im und vom Sommer. Seit mittlerweile über 130 Jahren. 80 Prozent der rund 400 Hotels im Ort sperren Ende September zu, die restlichen 20 folgen nach Allerheiligen Anfang November. Seit Kurzem gibt es zumindest ein Hotel, das bis auf sechs Wochen zu Jahresbeginn durchgehend geöffnet hat. Das Hotel Lido di Jesolo der österreichischen Falkensteiner-Gruppe wurde auf dem Grundstück einer ehemaligen Schule errichtet, der Nachbargrund steht immer noch leer.

Das 2015 eröffnete Fünfstern-Hotel Lido di Jesolo der Falkensteinergruppe.
Das 2015 eröffnete Fünfstern-Hotel Lido di Jesolo der Falkensteinergruppe.©florianalbert.net

Wer Jesolo im November, Dezember oder Februar, März besucht, spürt kaum etwas vom Flair des Hausmeisterstrandes, mit dem man es noch immer oft verbindet. Ruhig ist es hier, der Blick ist weit, und wer nicht will, muss nicht viel tun. Außer dem Naheliegenden: den Strand entlanggehen oder -laufen, Muscheln sammeln, schwimmen (zu dieser Zeit nur für die Unerschrockenen interessant) oder mit dem Fahrrad die Bucht ausfahren, hinauf in den Norden bis zum 48 Meter hohen, 1950 erbauten Leuchtturm von Jesolo an der Flussmündung des Sile. Auch der Faro ist, wie so vieles hier, weder schön noch stattlich, aber immer noch eines der größten Gebäude des Ortes.

Nicht besonders schmuck oder stattlich, der 1950 erbaute Leuchtturm im Norden von Jesolo.
Nicht besonders schmuck oder stattlich, der 1950 erbaute Leuchtturm im Norden von Jesolo.©florianalbert.net

Auf der Rückfahrt mit dem Rad empfiehlt es sich, von der Strandpromenade auf die menschen- und autoleeren Straßen im Ort zu wechseln, etwa die Viale Padania, die in die Via Auilea mündet und später zur Via Levantia wird. Wo zwar streckenweise mehr Leben als am Strand zu spüren ist, doch die rund 26.000 Jesolaner trifft man auch nicht hier, sondern im älteren Stadtkern auf der Festlandseite der Halbinsel. Die eingangs erwähnte Promenade realisiert man im Sommer kaum, weil sich da alles auf dem viel breiteren Sandabschnitt tummelt. Jetzt aber bemerkt man sie. Die Amerikaner hätten das kleine Wegerl längst ordentlich verbreitert. In Jesolo passiert so etwas nicht. Noch haben die meisten Kioskbuden am Strand geschlossen. Einer der bekanntesten fällt mit seinem bunten, aber rätselhaften Äußeren auf. Die Profile der Beatles und der Stones, Filmhelden aus „Pulp Fiction“ zieren in den Sand gesteckte Surfbretter und die bunte Mauer des kleinen Häuschens. Im Sommer steht man hier schnell einmal Schlange für ein Eis. An einem Sonnensonntag im November oder März werden einem der Espresso und das Cornetto in wenigen Minuten serviert.

Von Punta Sabbioni hinüber

Wer länger als ein Wochenende bleibt, darf eigentlich nicht abreisen, ohne Venedig besucht zu haben. Das geht von hier besonders einfach. Vom Hafen Punta Sabbioni am nördlichen Südwestspitzerl des Lido steuern täglich mehrere Fähren die per Schiff erreichbaren Inseln der Lagunenstadt an. Anfang Mai geht die Biennale-Saison wieder los. Im Arsenale, den Pavillons des Giardini und in unzähligen Palazzi stellen Künstler aus aller Welt ihre Werke aus. Wobei die Kunstschau fast zur Gänze in die Hauptsaison fällt, wer nicht gleich zu Beginn, nach der Eröffnung im Mai, hinfahren muss, um mitzureden, sollte daher lieber im Oktober oder November fahren. Doch Jesolo möchte neue Gäste erreichen. Nicht mehr nur die Strandurlauber, die im Juli und August für eine Woche kommen und ihren Liegestuhl nicht verlassen, sondern auch Kunstinteressierte oder Venedig-Liebhaber. Die können vor allem in den vagen Zeiten zwischen Neben- und Hauptsaison, nach einem Tag voller Sehenswürdigkeiten oder Einkaufstouren, wieder Kraft und Ruhe am Strand sammeln.

Venedig ist nur eine knappe Stunde mit Taxi/Auto und Fährevon Jesolo entfernt.
Venedig ist nur eine knappe Stunde mit Taxi/Auto und Fähre von Jesolo entfernt.©florianalbert.net

Natürlich erinnert einen Jesolo nur in dieser stillen Zeit, in der auch mal tagelang die Nebelschwaden über dem Lido hängen, an Thomas Mann und Rainer Maria Rilke. Sie schrieben zwar nicht hier, sondern im nahen Venedig und Duino, aber man kann sich plötzlich vorstellen, es hier auch einen ganzen Winter auszuhalten. Indem man an die Sonne geht, wenn sie herauskommt, und an Nebeltagen liest und schreibt, sich zwischendurch warm angezogen aber mit Sonnenbrille am Strand die Beine vertritt, abends in einer der Trattorien, einem der Ristorante im Ort ausschweifend gut isst.

Jetzt, kurz vor Ostern, erwacht der Strand langsam. Zuerst kommen die Seeregenpfeifer, die ihre Nester im Sand verbuddeln und die von der Strandverwaltung eine Zeit lang eingezäunt werden, um sie zu schützen. Danach kommen, meist in der letzten Märzwoche, die Bagger und tragen den Sandwall ab. Erst dann kommen die Liegestühle und mit Ostern die ersten Gäste, und das sind meist die Appartement-Besitzer, die ihr Sommerquartier aktivieren. Und plötzlich sieht der Strand von einem Tag auf den anderen wieder so aus, wie ihn die meisten kennen.

Jesolo und Umgebung

Anreise: Mit Auto, Zug (drei Direktzüge pro Tag aus Wien) oder Bus (aus Wien ca. 9 Stunden, 30 Euro pro Person). Falls mit dem Flugzeug, dann nach Venedig, von dort braucht das Taxi 25 Minuten (ab 80 Euro).

Unterkunft: Wer in der Nebensaison nach Jesolo fährt, hat wenig Auswahl. Das Fünfstern-Hotel Lido di Jesolo der Falkensteiner-Gruppe hat im Mai 2015 eröffnet und ist das einzige dieser Kategorie, das ganzjährig (bis auf eine Winterpause von Anfang Jänner bis Ende Februar) geöffnet hat (In- und Outdoor-Pool, großzügiger Spa-Bereich; DZ ab 169 Euro p. Nacht, 259 Euro für Halbpension). Eine längere Winterpause macht das Almar Jesolo Resort & Spa, das zweite Fünf-Stern-Haus in Jesolo. Familiärer, aber nur in der Hauptsaison geöffnet (Ende Mai-Ende September), ist das Hotel Negresco.

Essen & Trinken: Der kleine Nachteil einer Reise außerhalb der Saison: Viele Restaurants und Cafés sind geschlossen. Durchgehend geöffnet haben jedoch die meisten Pizzerien und Ristorante im Ort, die 26.000 Jesolaner wollen ja auch hie und da auswärts essen, sehr gut und preiswert kann man das im Alla Darsena (Mi Abend und Do geschlossen).

Aktivitäten: Venedig ist wirklich nah, am besten die Fähre von Punta Sabbioni (Parkplatz gebührenpflichtig) nehmen. Termin: Biennale Venedig von 17. Mai bis 26. November 2017. Vor Ort kann man in den großen Hotels Räder oder Surfbretter (fürs Stand-Up-Paddeln) ausborgen. Bootsverleih und anderen Sportanbieter machen in der Nebensaison Pause.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2017)


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