Leitartikel

Dieser Terror verändert nicht den Lauf der Welt

Blumen für die Opfer des Anschlags
Blumen für die Opfer des AnschlagsREUTERS
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Die Lkw-Jihadisten des IS nehmen sich wie Amateure aus im Vergleich zur Vorgängergeneration der al-Qaida. Die Angst, die sie säen, verfliegt schnell. Europa hat sich darauf eingestellt.

Nizza, Berlin, London und jetzt Stockholm. Die Schreckensbilder und die Methode gleichen einander. Es hat sich ein neues primitives Terrorschema herausgebildet: Radikal-islamistische Attentäter rasen mit Schwerfahrzeugen in die Menge, um wahllos Passanten zu massakrieren. In Stockholm suchte sich der Täter die beliebteste und belebteste Einkaufsmeile für sein Mordwerk aus. Schweden reagierte bestürzt, besonnen und trotzig. „Ihr werdet nie gewinnen“, rief Premier Stefan Löfven den Terroristen zu.

Tatsächlich besteht keine Gefahr, dass vereinzelte Lkw-Jihadisten das europäische Lebensmodell erschüttern. Anschläge dieses Ausmaßes verändern nicht den Lauf der Geschichte. So aufgewühlt eine Stadt nach einem derartigen Gewaltakt sein mag, so traumatisiert die Hinterbliebenen bis ans Ende ihrer Tage sein werden: Für alle anderen geht das Leben schnell in gewohnten Bahnen weiter, weil es stärker ist als die verfliegende Angst. Und weil, rational betrachtet, die Wahrscheinlichkeit, einem Anschlag zum Opfer zu fallen, im Vergleich zu anderen Fährnissen verschwindend gering ist. Die europäische Öffentlichkeit geht mittlerweile abgeklärt mit Attentaten um. Es haben sich längst Rituale herausgebildet. Medien berichten routiniert, Politiker finden jedes Mal ähnliche Worte der Betroffenheit, nur die Schauplätze ändern sich. Die Halbwerts- und Verarbeitungszeit der Schreckensnachrichten wird kürzer. Man nimmt die Attentate zur Kenntnis, lebt weiter und straft die Terroristen da draußen mit Ignoranz.

Laien. Pseudokalif Abu Bakr al-Baghdadi wird es nicht gern hören, aber die Mordbuben seines Islamischen Staates (IS) sind Amateure im Vergleich zur Vorgängergeneration. Bin Ladens Netzwerk al-Qaida attackierte US-Botschaften, ließ Passagierflugzeuge ins World Trade Center und ins Pentagon krachen. Ihre monströsen Angriffe forderten die Supermacht zu unüberlegter Rache heraus, mittelbar auch zum größten strategischen Fehler dieses Jahrhunderts: zum Krieg im Irak. Die IS-Attentate nehmen sich dagegen wie eine Schwundstufe des Terrors aus – jeder Laie, der nihilistisch und gestört genug ist, kann einen Lastwagen in eine Menschentraube steuern. Auch das erzeugt Angst und sät Tod, aber in einer anderen Dimension. Den rund 3000 Toten des 11. September stehen 86 in Nizza, elf in Berlin, fünf in London und vier Tote in Stockholm gegenüber. Das soll kein makabres Zahlenspiel sein, aber die Relationen zurechtrücken.

Es ist im eigenen Interesse der europäischen Gesellschaften, angemessen auf die neue Art des Terrors zu antworten und darauf vorbereitet zu sein. Die Polizei hat etliche Komplotte durchkreuzt, doch Einzelattentate mit Lastwagen sind nur schwer zu verhindern. Dabei zeichnet sich noch ein weiteres Muster ab: Perfides Ziel des IS könnte sein, jene Staaten zu destabilisieren, die besonders viele Flüchtlinge aufgenommen haben: Nach Berlin und Stockholm wäre demnach bald Wien dran.

Auch Österreich wird sich der Herausforderung gewachsen zeigen. Es wäre trotzdem leichtsinnig, Fußgängerzonen nicht bald mit versenkbaren Straßensperren zu versehen.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2017)

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