Der US-Chefdiplomat führte bisher ein Schattendasein. Trump-Schwiegersohn Jared Kushner und UN-Botschafterin Nikki Haley stahlen ihm die Show. Am Dienstag trifft der Newcomer den „Fuchs“ Sergej Lawrow.
In der Toskana präsentierte sich Rex Tillerson beim Gedenken an ein SS-Massaker im Zweiten Weltkrieg gestern als Schutzpatron der Schutzlosen und als Verfechter einer moralischen Außenpolitik. „Wir verschreiben uns wieder dem Ziel, jeden in der Welt zur Rechenschaft zu ziehen, der Verbrechen an Unschuldigen verübt“, postulierte der US-Chefdiplomat im Rahmen eines Treffens der G7-Außenminister in Lucca.
Dies war mindestens so sehr als Warnung an Damaskus, Pjöngjang oder Teheran – George W. Bushs Achsenmächten des „Bösen“ – gerichtet wie an Moskau. Rex Tillersons Treffen in Moskau mit Sergej Lawrow, dem gerissenen russischen Außenminister, trägt dieser Tage eher den Charakter einer Konfrontation – anders als sich Beobachter dies nach der Wahl Trumps ausmalten.
Als Tillerson vor kaum zwei Wochen auf Europa-Trip war, gab er sich als Pragmatiker in der Syrien-Politik, der das Schicksal des Diktators Assad seinem Volk überlassen wollte. In Brüssel kehrte der Exchef des Ölmultis Exxon den Mahner hervor, der nach den Vorgaben Donald Trumps die Nato-Partner an ihre Verpflichtung für höhere Verteidigungsetats erinnerte.
In der Zwischenzeit ereignete sich die Kehrtwende des Präsidenten vom geschäftsmäßigen Propagandisten des „America First“ zum Militärführer einer humanistischen Intervention in Syrien, der weitere Militäraktionen gegen das Regime in Damaskus nicht ausschließt. Rex Tillerson und Nikki Haley, die UN-Botschafterin, exekutieren die Politik Trumps – wobei die außenpolitisch unerfahrene, telegene Ex-Gouverneurin dem Außenminister die Show stahl, als sie im UN-Sicherheitsrat schockierende Fotos der syrischen Giftgasopfer von Khan Sheikhoun vorführte. Zeitweise führte die mehrgleisige Außenpolitik Washingtons zu einer Kakofonie – umso mehr, als Tillerson im Hintergrund blieb.
Als Exxon-Vorstandschef reiste der Texaner in Business-Jets zwar rund um den Globus, agierte indes hinter den Kulissen. Auch als Außenminister scheut der 65-Jährige das Rampenlicht. Seine Statements sind knapp, Pressekonferenzen und öffentliche Auftritte rar. Der Ex-Präsident der US-Pfadfinder ließ sich sogar die Gelegenheit entgehen, den Report seines Ministeriums zur Menschrechtslage zu kommentieren. Er wolle erst einmal zuhören und lernen, so lautete die Devise zum Amtsantritt. Er suchte zwar den Kontakt zu Henry Kissinger, dem Nestor der US-Außenpolitik, nicht aber zu John Kerry, seinem umtriebigen Vorgänger.
Tillerson brach auch mit der Tradition, Journalisten zu Auslandsbesuchen im Flugzeug mitzunehmen. Bei seinem Asien-Trip machte er für Erin McPike vom weithin unbekannten Onlineportal Independent Journal Review eine Ausnahme – und brachte sich prompt in eine Peinlichkeit, als er ihr ein Interview gewährte, in dem er davon sprach, dass er den Job eher gegen seinen Willen, auf den Rat seiner Frau hin, angenommen hatte.
Phantom von „Foggy Bottom“
Als Phantom von „Foggy Bottom“ – dem Viertel unweit des Potomac River, in dem das Außenministerium in Washington liegt – sorgte Tillerson für Häme. Vielen galt er wegen des Exodus von Karrierediplomaten im teilweise verwaisten State Department als isoliert, zumal er bei Besuchen hochkarätiger Staatsgäste im Weißen Haus fehlte. In den innersten Zirkel rund um Trump drang Tillerson nicht durch, und Trump verweigerte ihm obendrein die Bestellung Elliott Abrams' – eines deklarierten Trump-Kritikers – als Stellvertreter. Stattdessen riss Trump-Schwiegersohn Jared Kushner als Sonderberater für China oder Nahost außenpolitische Agenden an sich. Konfrontiert mit Budgetkürzungen von bis zu einem Drittel, operiert Tillerson aus einer Position der Schwäche. Das Jobtraining ist indes zu Ende, und der Newcomer muss jetzt zu Stimme und Statur finden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2017)