Cybersex ist nicht gekommen, Internet-Partnersuche schon: Nur die Science-Fiction-Fantasien werden wahr, die zu unserer menschlichen Natur passen.
Wer kann sich noch an Cybersex erinnern? An die Datenhelme mit den vielen Elektroden dran, an die Datenhandschuhe? Das waren Zukunftsfantasien von gestern, wie sie in den späten Neunziger- und frühen Nullerjahren mit wohligem Gruseln ausprobiert wurden. Heute wissen wir: Niemand lässt seinen Körper gern verkabeln, wenn es nicht dringenden medizinischen Zwecken dient. Wir sind auch unsere Körper, und deren Integrität lassen wir nur ungern stören.
Spätestens daran werden auch die Ideen scheitern, Gehirne direkt mit Computern zu verbinden. Abgesehen davon, dass einschlägige Experimente – wie sie der Unternehmer und Cyborg-Schwärmer Elon Musk unlängst wieder vorgeschlagen hat – bisher über primitivste Vorversuche nicht hinauskamen: Das Hirn ist eben völlig anders aufgebaut als ein Computer, und trotz aller „Years of the Brain“ (2016 war wieder eines, hat das jemand mitbekommen?) werden wir es nie wie eine Landkarte des Geistes lesen können.
Aber vernetzt sind wir doch längst? Gewiss, das World Wide Web und die Mobiltelefonie haben unsere Kommunikation radikal verbessert – aber nicht wesentlich verändert. Denn wir Menschen waren schon vor Erfindung der Datenleitung höchst kommunikative Wesen, immer (oder: fast immer) zum Plaudern aufgelegt, gierig nach Neuigkeiten und nach Wissen. Über die Welt und vor allem übereinander. So mögen wir auch Kommunikationsmaschinen, aber wir wollen uns nicht primär mit ihnen verbinden, sondern wir wollen uns mit ihrer Hilfe mit unseresgleichen verbinden. Und zwar letztlich auch direkt. Plakativ gesagt: Cybersex ist nicht gekommen, aber die Partnersuchbörsen im Internet florieren.
Aus ähnlichen Gründen hat sich auch eine andere einstige Zukunftsvision nicht durchgesetzt: die vom Siegeszug des Home-Office. Die Leute würden am liebsten in ihren kleinen Häuschen im Grünen bleiben, auf ihren Computern vor sich hin werken und die Ergebnisse mittels Datenleitung austauschen, erklärten uns diverse Propheten: Wer brauche da noch gemeinsame Büros? Diese Delokalisierung der Arbeit habe auch den großen Vorteil, dass sie den Verkehr und damit die Umwelt entlaste. Ein Blick auf die verstopften urbanen Autobahnen zeigt: Ja, die Menschen wohnen gerne in ihren Häuschen im Grünen, aber sie lassen es sich nicht gern nehmen, sich täglich an einen Ort zu verfügen, den sie Arbeitsplatz nennen. Übrigens mitunter auch, um einander näherzukommen: Büros sind oft bessere Partnersuchbörsen als das Internet . . .
Und was ist mit den Robotern? Werden sie uns die Arbeit abnehmen? Manche gewiss, das taten schon die einfachen Maschinen, wie sie einst Archimedes ersann. Aus der Erfahrung der Jahrtausende kann man sagen: Es ist immer noch genug Arbeit geblieben.
Aber werden die Computer uns nicht auch das Denken abnehmen? Kommt darauf an, was man unter Denken versteht. Das Rechnen haben wir schon in den Siebzigerjahren an Schaltkreise delegiert, und, ehrlich, so lustig war das händische Wurzelziehen gar nicht. Das Denken mit Bewusstsein, auf Basis von Sprache, aber werden wir nicht an Maschinen angeben können und wollen. Wer das glaubt, den haben Futuristen à la Ray Kurzweil genarrt, im Grunde mit der verführerischen Idee des Turing-Tests: Einem Computer, dessen Antworten auf alle Fragen nicht von denen eines Menschen zu unterscheiden seien, müsse man menschliche Intelligenz zuerkennen. Erstens hat sich Turings Vorhersage, dass es spätestens im Jahr 2000 solche Computer geben werde, nicht erfüllt. Zweitens: Selbst wenn es solche dereinst geben sollte, wäre es ein Irrtum, ihnen Intelligenz oder gar Bewusstsein zuzuschreiben. Ein Schachcomputer spielt nicht Schach, schon allein weil er sich nicht ärgert, wenn er verliert. Wer Geist auf binäre Operationen reduzieren will, hat nicht verstanden, was Geist ist. Es gibt ihn nicht ohne Gefühle. (Ob ein göttlicher Geist ohne Gefühle vorstellbar ist, damit müssen sich Theologen befassen.)
Letztlich münden alle Debatten über die Zukunft, auch jene der Arbeit, in ein Verständnis unserer Natur. Und unserer Menschenwürde. Die kann uns kein Roboter und kein Computer nehmen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2017)