Während Österreich gerade eine digitale Roadmap verabschiedet hat, bewirbt Estland die virtuelle Staatsbürgerschaft.
Wien/Tallinn. Es ist ein interessanter Zufall: Im Jahr 2000 bot die Finanzverwaltung von Estland seinen Bürgern erstmals an, die Steuererklärung via Internet abzugeben. Nur zwei Jahre später konnte man auch in Österreich die Arbeitnehmerveranlagung online machen. 2017 ist das hierzulande noch immer das Vorzeigeprojekt, während der Bürger in Estland mittlerweile jeden Behördenweg via Internet erledigen kann – außer die Heirat, die Scheidung und den Verkauf von Immobilien.
Das nördlichste Land des Baltikums dient stets als Vorbild in Sachen digitaler Verwaltung. Von der Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel über den Führerschein bis hin zu Förderanträgen – alles ist online gespeichert. Der Bürger hat via Smartcard ständig Zugriff und die Behörde kann die für sie relevanten Daten unbürokratisch abfragen (und nur die).
„Der wesentliche Unterschied ist: In Estland sieht sich der Staat als Dienstleister. Bei uns ist das weniger der Fall“, meint Alexander Burtscher von der Wiener Agentur Wonderwerk, die Behörden bei Problemlösungen berät. Dazu komme, dass in Österreich Daten auf verschiedene Ämter verteilt seien und diese die Daten nur ungern teilen. In Estland dagegen gehörten die Daten dem Bürger, inklusive der gesetzlichen Garantie, dass er seine Daten nur einmal eingeben muss.
In Österreich, meint Burtscher, müsse es einen nationalen Konsens geben, „dass Digitalisierung etwas Gutes ist und dass alle – Bund, Länder, Gemeinden – mit dem Ziel zusammenarbeiten wollen, dem Bürger das Leben zu vereinfachen.“
In der Theorie gibt es das bereits: Die Bundesregierung hat die „Digital Roadmap Austria“ erstellt, mit deren Hilfe „die Digitalisierung für Österreich ein Gewinn werden kann“. In zwölf Leitprinzipien hat man unter anderem festgelegt, dass jeder Österreicher Zugang zum Internet haben soll.
In Estland propagiert man inzwischen bereits die digitale Staatsbürgerschaft. Jeder kann eine E-Residency erwerben und damit leichter etwa ein Unternehmen in Tallinn – und damit in der EU – gründen. Bis 2025 will man zehn Millionen e-Esten haben – real sind es gerade einmal 1,3 Millionen. (rie)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2017)