Studienpläne: Am Leben vorbei

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Protest(c) Michaela Bruckberger
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Wie berufsbezogen sind die Studienpläne wirklich? Eine Umfrage zeigt: Fachtheorie steht an erster Stelle. Die Absolventen hätten sich aber gern mehr soziale Fähigkeiten angeeignet, etwa wie man verhandelt oder Mitarbeiter führt.

Zwanzig Tage Proteste – doch sie kommen um zehn Jahre zu spät. 1999 bei der Einführung der Bologna-Architektur, mit der der Startschuss für die Umstellung auf das Bachelor-Master-System gegeben wurde, hätten Österreichs Studierende demonstrieren müssen. Das Ziel, das mit der Einführung des angloamerikanischen Studiensystems angepeilt wird, ist das Paradigma der Employability, der Arbeitsmarktfähigkeit der Uni-Absolventen. Das wird auch im Universitätsgesetz 2002 postuliert, demnach sollen Bachelorstudien der „Berufsvorbildung“ und „Qualifizierung für berufliche Tätigkeiten“ dienen (§51, Abs. 4). Jetzt, 2009, wollen die Hörsaalbesetzer eine Umkehr erzwingen. „Recht auf Bildung“, lautet ihre Parole.

Das Bachelorstudium markiert den Systemwechsel, meint der Arbeits- und Wirtschaftssoziologe der Uni Klagenfurt, Paul Kellermann. „Früher hat es zwei Strömungen gegeben: Einerseits – nach Dahrendorf – ist Bildung ein Bürgerrecht, andererseits ist Bildung im Lichte der ökonomischen Bedingtheit zu sehen.“ Jetzt sei die zweite Sicht Realität – und nur mehr diese. „Die Universitäten werden von einem betriebswirtschaftlichen Zeitgeist dominiert.“

Kellermann beruft sich auf eine an seiner Universität durchgeführte Untersuchung, bei der 2270 Absolventen, die schon vier Jahre im Beruf standen, befragt wurden, ob sie ihre Uni-Ausbildung im Job verwerten konnten, was ihnen gefehlt hat und was die Uni zu viel geboten hat. Dabei wurden alle österreichischen Studienrichtungen erfasst. Ein Blick auf die 36 vorgegebenen Kompetenzen (einige sind in der Grafik angeführt) zeigt sofort eines: Jene Studieninhalte, die direkt auf einen in dem jeweiligen Fach möglichen Beruf abzielen, sind ausreichend oder noch intensiver gelehrt und verlangt worden. Im Bereich, den Kellermann mit „sozial interaktives Vermögen“ umschreibt, konstatierten die Befragten hingegen Defizite. Darauf seien die Uni-Studien zu wenig eingegangen.

Die höchsten Zustimmungsraten für „gerade richtig für die Anforderungen im Beruf“ erzielten die in der Erhebung gemachten Vorgaben „Konzentrationsfähigkeit“, „Lernfähigkeit“ und „analytische Fähigkeiten“. Zu viel – also noch mehr, als im jeweiligen Beruf erforderlich – habe man gerade in berufsspezifischen Feldern studiert: in den Bereichen „fachspezifische theoretische Kenntnisse“, „fachspezifische Methodenkenntnisse“ und „Fremdsprachen“. Und Defizite konstatieren die jungen Berufstätigen vor allem bei den Kompetenzen „Verhandeln“, „Mitarbeiterführung“ und „Planen/Koordinieren/Organisieren“.

Überraschend sind die Befragungsergebnisse in den einzelnen Studienfeldern. So fühlen sich die jungen Mediziner gerade im Bereich „manuelle Fertigkeiten“ zu wenig intensiv ausgebildet. Die Absolventen der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sehen wiederum ein klares Defizit bei „Verhandeln“: 43 Prozent sagen, das Studium habe „gerade genug“ geboten, zwei Prozent meinten „zu viel“, aber gleich 55 Prozent „zu wenig“. Dafür sagen 24 Prozent dieser Absolventen, dass ihr Studium mehr fachspezifische theoretische Kenntnisse als erforderlich enthalten habe.

(c) Die Presse / HR

Ist ein Zurück, eine Uni der Vor-Bologna-Ära überhaupt noch denkbar? Ja, sagt Paul Kellermann. Im Bologna-Beschluss habe die EU-Kommission die Einführung des dreigliedrigen Studiensystems vorgeschlagen, die einzelnen Staaten aber nicht dazu verpflichtet. Der Klagenfurter Uni-Professor will die Bologna-Ordnung nicht abschaffen. Aber das Bachelorstudium sollte weitgehend generell gehalten werden, „am besten ein einziges pro Studienabschnitt“. Da könnte der akademischen Freiheit breiter Raum gegeben werden. Dann sollte man unter mehreren fachorientierten Masterstudien wählen können, die durchaus den Anforderungen der Wirtschaft entsprechen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2009)

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