Der Währungsfonds sieht die Weltwirtschaft kräftiger wachsen, warnt aber eindringlich vor Protektionismus und Handelskriegen. Auch die Schwellenländer kommen zurück.
Wien/Washington. Wie soll man die Entwicklung der Weltwirtschaft vorausberechnen, wenn eine einzige Twitter-Botschaft eines unberechenbaren US-Präsidenten alle Prognosen über den Haufen werfen kann? Im Jänner hielt sich der Internationale Währungsfonds (IWF) deshalb bedeckt: Er schätzte das globale Wachstum für heuer auf 3,4 Prozent, ganz vorläufig – man müsse abwarten, was Trump von seiner „America first“-Agenda wirklich umsetze. Nun, bei der Frühjahrstagung mit der Schwesterorganisation Weltbank, musste der Fonds Farbe bekennen.
Sieht er nun klarer? Nicht wirklich: Er erhöhte die Prognose leicht auf 3,5 Prozent, wegen der „konstant guten wirtschaftlichen Nachrichten“. Es sei durchaus möglich, dass „das Wachstum die Erwartungen kurzfristig sogar übersteigt“. Besonders vorsichtig waren die Forscher in Washington bei Österreich: Hier rechnen sie mit einem BIP-Anstieg von 1,4 Prozent. Das wäre unter dem Schnitt der Eurozone und weit weniger, als die heimischen Institute Wifo (2,0Prozent) und IHS (1,7) erwarten.
„Unsinn“, sagt US-Regierung
Für die Weltwirtschaft aber bleiben Risken, „die den mittelfristigen Ausblick eintrüben“, weshalb die Prognose für 2018 bei 3,6 Prozent bleibt. Die Risken hätten sich sogar verstärkt. Worum geht es? „Eine der Hauptbedrohungen ist eine Wende in Richtung Protektionismus, die Handelskriege auslöst.“ Denn „die Selbstbezogenheit der Politik vielerorts“ bedrohe „die auf Zusammenarbeit fußende wirtschaftliche Ordnung der Welt“. Trotz des diplomatischen „vielerorts“ fühlte sich die US-Regierung zu Recht angesprochen und schoss schon im Voraus zurück: Handelsminister Wilbur Ross bezeichnete solche Kritik als „Unsinn“.

Das Neue am globalen Ausblick: Die Schwellenmärkte sind als Treiber zurück. Über drei Viertel tragen sie mittlerweile zum globalen Wachstum bei. In den vergangenen Jahren freilich als Dämpfer: Eine schwächere Nachfrage aus China ließ die Rohstoffpreise einbrechen und setzte den aufstrebenden Volkswirtschaften so stark zu, dass sie die weltweite Entwicklung drückten. Dazu kam die Kapitalflucht: Ausländische Investoren zogen sich aus den riskanten und volatilen Märkten zurück – schon seit 2013, als die US-Notenbank begann, ihre Anleihekäufe zu reduzieren. Die etwas straffere Geldpolitik stärkte den Dollar und erhöhte die Last für die meist in der US-Währung verschuldeten Schwellenländer. Die jüngsten Zinserhöhungen sind hingegen längst berücksichtigt und führten nicht mehr zu einem stärkeren Aderlass. Sicherheitshalber warnt der IWF die Fed jedoch vor unerwartet kräftigen Erhöhungen.
Was aktuell eher überrascht, ist der rasche Anstieg der Preise in den USA und Europa. Damit werden Emerging Markets wieder für Investoren attraktiv, weil sie dort real positive Renditen erzielen. Die Inflation in den Industriestaaten kommt vor allem von anziehenden Rohstoffpreisen. Schwellen- wie Entwicklungsländer profitieren davon, dass sie mit Öl, Eisenerz oder Kupfer wieder Geld verdienen. Manche von ihnen müssen freilich besonders vor Trumps Zöllen zittern. Nur: Dem Gepolter folgen (noch) keine Taten. Auch wenn der IWF eindringlich mahnt: Die Sorge bei den potenziellen Opfern lässt nach, vor allem in Mexiko, wo Aktienkurse und Peso zurzeit eine Fiesta feiern. Auch in anderen Ländern blähen sich die Segel, von Indien bis Vietnam. Selbst im von Politikskandalen erschütterten Brasilien mehren sich die Zeichen einer zaghaften Erholung.
Achillesferse China
Freilich hängen Südamerika und Afrika weiter stark von der Rohstoffnachfrage Chinas ab. Dort hat sich die Entwicklung zwar stabilisiert. Dazu musste der Staat aber weiter Kredite in kritische Sektoren pumpen, vor allem in den Häusermarkt. Die Achillesferse beim Comeback der Schwellenländer ist also, dass Peking angesichts des Schuldenbergs bald auf die Bremse steigt. Auch das spricht der IWF an: Die „größere Anfälligkeit“ könne Chinas Wachstum trüben.
Bleibt die Hoffnung, dass die Erholung auf mehr und damit solideren Beinen steht. Die Globalisierung, von Trump verteufelt und zuletzt auf dem Rückzug, legt wieder zu. Das zeigen die Frachtraten der Containerschiffe, die den Herzschlag des Welthandels messen. Nach einer langjährigen, (fast) durchgängigen Baisse steigen sie neuerdings kräftig an – seit Jänner um über 40 Prozent. (gau)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2017)