ÖH-Chefin: Jedem seine eigene Revolution

Sigrid Maurer
Sigrid Maurer(c) Clemens Fabry
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Sonntagsspaziergang: Vor neun Monaten erst ist Sigrid Maurer als oberste Studentenvertreterin nach Wien übersiedelt. Bei den Uni-Besetzungen geben aber andere den Ton an.

Wo ist denn dieser Hörsaal überhaupt?“ Sigrid Maurer wirkt denkbar unentspannt, als sie durch die Innenhöfe des Alten AKH in Wien eilt. Alle paar Minuten greift die 24-Jährige zu einem ihrer Handys, um Anrufe entgegenzunehmen, Aussendungen zu lesen, Termine zu koordinieren. Spaziergänge wie dieser, der Maurer durch die Höfe des Uni-Campus zu einem der besetzten Hörsäle führt, sind eine Seltenheit. Freie Stunden sind bei der ÖH-Chefin, die ihr Amt als Bundesvorsitzende der Studentenvertretung im Juni angetreten hat, spärlich gesät – vor allem, seit die Studenten österreichweit revoltieren. Woran es mangelt, ist aber nicht nur Zeit, sondern auch die Orientierung. Nach wenigen Metern stockt Maurer, erst eine Übersichtstafel bringt Klarheit, wohin der Weg führt.

Vor neun Monaten erst ist die Tirolerin, die in Innsbruck Politikwissenschaft studiert hat, für den Wahlkampf nach Wien übersiedelt – wirklich heimisch ist sie hier bislang nicht geworden. Auf dem Weg zu Interviews habe sie sich nicht nur einmal verirrt: „Ich gehe gerne durch Wien“, sagt sie. „Es darf nur niemand erwarten, dass ich weiß, wo ich bin oder einen Bezug zu Orten hier habe, der sich nicht erst vor ein paar Sekunden gebildet hat.“

Linke unter Konservativen. Wo dann ihre Heimat liegt? „Weiß ich nicht. Heimat ist ein Begriff, mit dem ich nicht viel anfangen kann. Ich bin dort daheim, wo ich mich politisch betätige.“ Geboren ist Maurer, die für die grünen Studentenvertreter (Gras) der ÖH vorsitzt, in der 1400-Einwohner-Gemeinde Telfes. Richtig „reingepasst“ habe sie mit ihrer linken politischen Einstellung in das konservative Umfeld nie, sagt sie – und steuert auf den besetzten Hörsaal zu. Mit ihrem Engagement – sie ist seit 2005 in der ÖH aktiv – stieß sie bei der Familie oft auf Unverständnis. „Meine Eltern sind stolz auf mich. Vieles von dem, was ich tue, können sie aber nicht nachvollziehen.“

Generell ist die Rolle von Maurers ÖH-Exekutive in den aktuellen Protesten umstritten: Obwohl die Studenten nun gegen genau jene Missstände aufbegehren, die auch die grünen Studentenvertreter seit Langem anprangern, war die ÖH von den Besetzungen nicht informiert und hat kaum Einfluss auf deren Verlauf. Ein weiteres Zeichen der Machtlosigkeit der Studentenvertreter? Nein, sagt Maurer. Die ÖH liefere den Streikenden wichtige Unterstützung, Infrastruktur und Know-how. Aber: „Das ist eine Bewegung, die aus sich heraus Politiken entwickelt und nicht von Institutionen vereinnahmt werden darf.“ Jeder könne „seine eigene Revolution“ feiern. Das mache die Besetzung auch so stark: „Nur wenn du einer Bewegung einen Kopf gibst, kann man ihn abschlagen.“

Viele Studenten scheinen das ähnlich zu sehen. „Als Person find' ich dich nett. Als Funktionärin muss ich gegen dich sein“, sagt eine Studentin mit Dreadlocks, die Maurer vor dem Hörsaal erkennt und sie scherzhaft zum „Workshop Basisdemokratie“ einlädt. Maurer ist der Kontakt zu den Besetzern wichtig. Um „den Bezug zur Basis nicht zu verlieren“, sagt sie. Zwischen Terminen im Ministerium nehme sie sich Zeit für persönliche Anfragen von Studenten. „Auch dass ich als ÖH-Vorsitzende im Audimax die Sitze putze und Müll wegbringe, ist eine ganz bewusste Aktion“, gibt Maurer zu. „Ich bin immer noch dieselbe. Ich will, so gut es geht, für bessere Studienbedingungen kämpfen. Nur, dass ich das jetzt auf einer anderen Ebene tue und richtig Politik machen kann.“ Eine Politik, die sich selten mit den Vorstellungen von Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) deckt, mit dem sie eine „professionelle Gesprächsbasis“ habe. „Mehr nicht. Hahn hat weder Visionen noch Interesse an den Studenten.“

Maurers Ansatz: „Ich will keine leeren Programme runterbeten, sondern eine Politik des Zuhörens und der Inhalte machen.“ Wie aber soll die ideale Uni aussehen? „Sie muss Freiräume bieten und ein Ort der Diskussion sein. Das ist ja das eigentlich Spannende an Bildung. Prüfungen wären nicht nötig, und jeder kann sich einfach in Vorlesungen setzen und zuhören.“ Mehr als eine Utopie ist das „in einer Gesellschaft, die sich nach ökonomischen Zwängen“ entwickeln muss, nicht, das weiß Maurer. Den Kampf gegen Studiengebühr und Zugangsbeschränkungen und für den Kapazitätsausbau an den Unis („Bei den Studienanfängern liegen wir noch 15 Prozent unter dem OECD-Schnitt.“) hat sie dennoch aufgenommen. Und ein bisschen träumen, das wird man in Zeiten des Studentenaufstands ja wohl noch dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2009)

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