Leitartikel

Das einfache Spiel mit den doppelten Staatsbürgerschaften

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Eine Politik des Nicht-hören- und des Nicht-sehen-Wollens im durchaus sensiblen Themenbereich Integration/Flüchtlinge/Asylwerber ist gescheitert.

Wenn Innenminister Wolfgang Sobotka einen Auftrag übernimmt, dann pflegt er keine halben Sachen zu machen. Dass er einen Auftrag, einen Kampfauftrag gar, in und für die ÖVP erhalten hat, ist nicht erst seit seinen einschlägigen Äußerungen von gestern, Mittwoch, evident. (Die Frage, ob der Auftraggeber Reinhold Mitterlehner oder Sebastian Kurz war, tut wenig zur Sache.) Sobotka muss das so brennende wie sensible Thema rund um das Integrieren von Neu- oder Noch-nicht-Österreichern und die Bereiche Flüchtlinge, Asylwerber, sehr grob gesagt also das Thema Ausländer, für die ÖVP besetzen.

Dabei hat er seine Partei so zu positionieren, dass rechts von ihr – für die FPÖ, no na – möglichst wenig Platz bleibt und dass gleichzeitig Christlich-Soziale mit Betonung auf die Bezeichnung christlich nicht allzu sehr verschreckt werden. Minister Sobotka hat am Mittwoch also einen Doppelschlag geführt. Zuerst hat er sich in einem Interview für das Schließen der Mittelmeerroute, später, vor dem Ministerrat, für (schärfere) Sanktionen im Falle von Doppelstaatsbürgerschaften ausgesprochen. Ironie am Rande: Bei der Ministerratssitzung selbst ist der Ressortchef weniger wegen dieses seines vorher „nur“ Journalisten gegenüber verbreiteten Vorschlags aufgefallen als durch Abwesenheit. Ein anderer Termin war wichtiger.

Die Forderung nach Geldstrafen ist vor dem Hintergrund der nicht ohne Anzeichen von Hilflosigkeit und Aufgeregtheit geführten Debatte zu verstehen, wie es denn sein kann, dass rund 73 Prozent in Österreich für Erdoğans Verfassung gestimmt haben. Allein, Antwort darauf ist der Ruf nach Strafen keine. Daher ein Versuch, Ordnung in den Diskurs zu bringen:

Ja, Doppelstaatsbürgerschaften sind illegal, wenn sie denn tatsächlich illegal sind. Es gibt ja auch Fälle, in denen ein Staat das Zurücklegen der Staatsbürgerschaft gar nicht erst zulässt, wie beispielsweise Griechenland. Oder die österreichische Regierung beschließt die Genehmigung einer Doppelstaatsbürgerschaft, weil ihr dies opportun erscheint wie im Falle von Sportlern oder Opernsängern. Bei Arbeitern aus Ostanatolien wird das wohl eher nicht der Fall (gewesen) sein. So ungerecht ist die Welt.

Nein, ein Fokussieren auf Doppelstaatsbürgerschaften löst kein Problem der Integration, und derer gibt es wahrlich genug. Dadurch werden maximal Ressentiments gegenüber Türken beziehungsweise türkischstämmige Österreicher befeuert. Auch dieser Ressentiments gibt es wahrlich genug.

Ja, das Ergebnis des türkischen Verfassungsreferendums mit fast drei Vierteln Ja-Stimmen der österreichischen Teilnehmer daran für ein, gelinde gesagt, prononciertes Präsidialsystem, fordert zu einem intensiven Nachdenken heraus. Immerhin erweisen sich damit jene, die teilweise seit vielen Jahren in Österreich leben und an der Abstimmung teilgenommen haben, als größere Unterstützer der Politik Erdoğans und eines Kurses weg von parlamentarischer, repräsentativer Demokratie als jene, die in der Türkei selbst leben. Ja, eine Demokratie wie Österreich, eine liberale pluralistische Gesellschaft muss sich gegebenenfalls auch wehrhaft gegenüber Tendenzen zeigen, die diese angreift, unterhöhlt oder zu unterhöhlen droht – woher immer diese Gefahr kommen mag.

Nein, das Ergebnis darf nicht alarmistisch interpretiert werden. Natürlich hat Österreich in der Masse eben nicht akademisch gebildete Türken aus urbanen Gebieten zur Arbeit ins Land geholt, die etwa in Istanbul mehrheitlich gegen die Verfassungsreform gestimmt haben. So gesehen überrascht das Ergebnis weniger. Außerdem haben offenbar viele wegen Forderungen nach einem Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Österreich und Debatten um das Kopftuch getreu dem Motto gehandelt: Jetzt erst recht. So ganz fremd ist diese Attitüde, erinnern wir uns recht, auch seit vielen Generationen in Österreich Geborenen nicht. Nüchternheit ist gefragt sowie die dauerhafte Abkehr von einer Politik des Nicht-hören- und Nicht-sehen-Wollens. Pflichten müssen selbstverständlich eingefordert, Werte verteidigt werden. Hyperventilieren hilft genauso wenig wie eine Placebo-Politik.

E-Mails an:dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2017)

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