Ostberliner US-Botschaft befürchtete Niederschlagung

Ehemaliger US-Diplomat James D. Bindenagel: Ostberliner US-Botschaft befürchtete Niederschlagung
Ehemaliger US-Diplomat James D. Bindenagel: Ostberliner US-Botschaft befürchtete Niederschlagung(c) APA (Barbara Gindl)
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Ehemaliger US-Diplomat James D. Bindenagel: Honecker wollte Demokratiebewegung mithilfe der Sowjets militärisch niederschlagen lassen. Auch die USA seien von Schabowski-Erklärung überrascht worden.

Nach den Berliner Ereignissen in der Nacht von 9. auf 10. November 1989, die als Fall der Berliner Mauer in die Geschichte eingegangen sind, befürchtete die US-Botschaft in Ostberlin noch bis Ende November, dass die in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) stationierten sowjetischen Truppen eingreifen könnten. So schilderte der ehemalige Gesandte in der US-Vertretung in Ostberlin, , in einem Interview mit der Austria Presse Agentur die dramatischen Vorgänge im Herbst 1989.

Honecker wollte Niederschlagung

US-Diplomat James D. Bindenagel erzählt von den dramatischen Vorgängen im Jahr 1989
US-Diplomat James D. Bindenagel erzählt von den dramatischen Vorgängen im Jahr 1989(c) APA (Barbara Gindl)

Der damalige DDR-Parteichef Erich Honecker sei offenbar für eine militärische Niederschlagung der Demokratiebewegung eingetreten, die übrige  DDR-Führung sei jedoch nicht mitgegangen, ließ Bindenagel durchblicken. Nur sechs Monate vorher, in der Nacht des 3. zum 4. Juni 1989, war auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens die chinesische Demokratiebewegung von Panzern niedergewalzt worden.

Vor allem in Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum vierzigsten Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 habe die Gefahr eines militärischen Vorgehens der DDR-Sicherheitskräfte und in weiterer Folge der in der DDR stationierten sowjetischen Truppen bestanden. Von 21. bis 24. September habe beispielsweise der damalige US-Außenminister James Baker mit dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse darüber verhandelt, wie viele ostdeutsche Flüchtlinge die UdSSR "tolerieren" würde, bis sie ein militärisches Eingreifen für notwendig hielte, berichtete Bindenagel.

Turbulente Stunden

Die Stunden nach der legendären Pressekonferenz des Politbüromitglieds Günter Schabowski seien turbulent gewesen, berichtete der frühere US-Diplomat und heutige Vizepräsident an der DePaul University in Chicago. Es war bereits klar, dass DDR-Führung Reiseerleichterungen in Erwägung ziehe, um sich innenpolitisch zu stabilisieren. Der Wortlaut der Schabowski-Erklärung kam trotzdem überraschend, die weitere Entwicklung sei auch auf die in der DDR empfangenen Bilder westlicher TV-Sender zurückzuführen gewesen, die freudestrahlende Menschen beim Passieren der Grenzstellen zeigten. Dabei seien die ersten DDR-Bürger, die man über die Grenze ließ, durch entsprechende Stempel in den Pass aus der DDR ausgebürgert worden, sagte Bindenagel.

Gorbatschows Rolle

Die US-Botschaft, die in jener Nacht Kontakt zum Weißen Haus und zum Außenministerium in Washington unterhielt, versuchte auch, die sowjetische Botschaft in Ostberlin zu kontaktieren. Dort habe man aber die Auskunft erhalten, dass man den Botschafter nicht wecken könne, sagte Bindenagel. Sowjetische Diplomaten beriefen sich damals gerne auf eine Erklärung von Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, dass man die Entwicklung in der DDR keineswegs überdramatisieren dürfe.

Die Politische Abteilung der US-Botschaft in der DDR-Hauptstadt sei damals davon ausgegangen, dass die DDR-Bürger sich per Antrag Ihre Ausreisegenehmigungen verschaffen würden, um sich dann erst auf den Weg nach Westberlin zu machen. "Wir ahnten nicht, wie schnell die DDR-Bürger die Grenzwache auf die Probe stellen würde", erinnert sich Bindenagel.

(APA/Ambros Kindel)

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