"Ein Feiertag für alle, die mehr Freiheit haben"

GERMANY BERLIN WALL ANNIVERSARY
GERMANY BERLIN WALL ANNIVERSARY(c) EPA (RAINER JENSEN)
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Berlin stand am Montag ganz im Zeichen der Festlichkeiten zum 20.Jubiläum des Mauerfalls. Amtierende und ehemalige Staats- und Regierungschefs aus mehr als 30 Ländern feierten mit.

Berlin. Helmut Kohl, der Kanzler der deutschen Einheit, fehlte, weil er zu krank ist. Auch der ehemalige SED-Funktionär Günter Schabowski, der am Nachmittag des 9.November 1989 auf einer historischen Pressekonferenz fast beiläufig die Öffnung der innerdeutschen Grenze verkündet hatte und so zu internationaler Berühmtheit gelangte, verbrachte den 20.Jahrestag des Mauerfalls im Spital. US-Präsident Barack Obama hatte schon vor Wochen aus Termingründen abgesagt – ein kleiner Wermutstropfen für die Deutschen.

Sonst aber war am Montag in Berlin alles vertreten, was Rang und Namen hat: die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder, unter ihnen Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (S), Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew, der ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow, US-Außenministerin Hillary Clinton, der frühere polnische Gewerkschaftsführer und spätere Präsident Lech Walesa sowie der ehemalige ungarische Ministerpräsident Miklos Nemeth.

Demonstrative Einigkeit

Alle sind sie gekommen zum großen „Fest der Freiheit“, das am Abend zwischen Potsdamer Platz, Brandenburger Tor, Pariser Platz und Reichstag über die Bühne ging. Schon den ganzen Tag über befand sich Berlin in einem Ausnahmezustand der Euphorie.

Mag sein, dass es immer noch Probleme zwischen Ost und West gibt, sowohl in der Hauptstadt als auch landesweit – gestern jedoch stand man in demonstrativer Einigkeit zusammen und gedachte in Freuden des historischen Tages vor 20 Jahren. Wer im trüben Novemberwetter nicht auf die Straße wollte, konnte – wie damals – alles im Fernsehen mitverfolgen. Seit den frühen Morgenstunden wurde durchgehend direkt übertragen und zurückgeblendet.

Bereits in der Früh nahmen Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) an einem ökumenischen Gottesdienst in der Gethsemane-Kirche teil. Am Nachmittag überquerte Merkel, gemeinsam mit ehemaligen Bürgerrechtlern, mit Walesa, Gorbatschow, dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit und Joachim Gauck, dem früheren Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, von Ost nach West die Bornholmer Brücke – jenen Grenzübergang, an dem am 9.November die ersten Ostberliner die Sperren überrannten.

Auch die nunmehrige Bundeskanzlerin war damals am späten Abend hier. Die ersten Nachrichten vom Mauerfall hatte sie buchstäblich „verschwitzt“: Sie saß in der Sauna. „Man war sprachlos und glücklich“, erinnert sich Merkel heute. Zugleich rief sie am 20. Jahrestag des Mauerfalls zu weiteren Bemühungen für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West auf. „Die deutsche Einheit ist noch nicht vollendet.“

Trabi-Paraden und „Mauerfall“

In Berlin drängten sich schon seit dem Wochenende die Menschenmassen, bewunderten nostalgische Trabi-Paraden oder die „Mauer“ aus überdimensionalen Dominosteinen, die dann am Abend, angestoßen durch Walesa und Nemeth, symbolisch fiel. Der offizielle Teil der Feierlichkeiten hatte am Nachmittag mit einem Empfang für die hohen politischen Gäste bei Köhler im Schloss Bellevue begonnen.

Beim Brandenburger Tor läutete um 19Uhr ein Open-Air-Konzert der Staatskapelle Berlin und des Staatsopernchors unter Leitung von Daniel Barenboim den festlichen Abend ein. Auf dem Programm standen Werke, die Zäsuren der deutschen Geschichte beleuchten: die Revolution von 1848/49, die Judenpogrome der Reichskristallnacht am 9.November 1938 sowie den Fall der Berliner Mauer am 9.November 1989. Für Arnold Schönbergs „A Survivor from Warsaw“ übernahm Klaus Maria Brandauer den Part des Sprechers. (Außerdem: Richard Wagner: Lohengrin, Vorspiel zum 3.Akt, Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr.7 A-Dur, 4.Satz, Friedrich Goldmann: „Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen“, Fragment, 2009.)

Es folgten bewegende Ansprachen der Politiker, bis der Abend mit einem Feuerwerk beschlossen wurde. Aber auch nach dem Ende der offiziellen Feierlichkeiten wollten weder die Gäste noch die Berliner ins Bett. Und so wurde dieser 9.November – wie jener vor 20 Jahren – bis in die frühen Morgenstunden zum Feiern ausgedehnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2009)

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