Ostalgie: Kurztripp in den polnischen Kommunismus

Crazy Guides Communism Tour
Crazy Guides Communism Tour(c) Die Presse (Jutta Sommerbauer)
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Mit "Communism Tours" zieht Nowa Huta heute Touristen an. Die Devise: lockerer Lifestyle statt trockener Politik.

Nowa Huta.Gary versucht Halt an seinem Bier zu finden, aber es will nicht so recht klappen. Das realsozialistische Ensemble ist einfach zu fremd. „Es ist eine Reise in eine andere Welt“, sagt der Pub-Besitzer mit dem blau-weiß gestreiften Poloshirt aus dem Londoner Norden und blickt verunsichert um sich. Zu seiner Rechten wachsen massive graue Wohnblöcke im Stalin'schen Zuckerbäckerstil in die Höhe; zu seiner Linken liegt der rechteckige Hauptplatz mit seinen ebenso rechteckigen Blumenbeeten.

Gary sitzt mit seiner Ehefrau Lorraine und zwei Freunden im Restaurant „Stylowa“ im polnischen Nowa Huta. Ein Billigflieger hat die vier Wochenendausflügler im neuen Europa abgesetzt. Am ersten Tag des Aufenthalts steht eine Stadtführung auf dem Programm: die „Communism Deluxe Tour“ der Agentur „Crazy Guides“ für 169 Zloty, umgerechnet 40 Euro pro Person. Mit einem schwarzen Trabi durch die Industriestadt Nowa Huta brausen, sozialistische Denkmäler, originalgetreue Apartments und das kommunistisch anmutende „Stylowa“ besichtigen – das klang spannend, fand Freundin Diane, und buchte die Tour mit Guide Wiktor, dessen Aufgabe folgende ist: Kommunismus mit allen Sinnen vermitteln.

Nowa Huta – Neue Hütte: Das klingt für englische Ohren tatsächlich wie ein fernes Land und sieht auch so aus. Nur eine kurze Tramfahrt von Krakau entfernt, ist die Stadt die geplante Antithese zum Sitz der polnischen Aristokraten: ein Ensemble aus Blockbauten, mittendrin ein Stahlwerk, das früher den Namen Lenins trug und heute dem indischen Multimillionär Lakszmi Mittal gehört.

1949 wurde mit seinem Bau begonnen, zeitgleich wuchsen die Wohnsilos von Nowa Huta. „Mann, jetzt kommt es mir: Dieser verdammte Ort wurde aufgebaut, als wir geboren wurden“, sagt Garys glatzköpfiger Freund und nimmt einen Schluck von seinem Wodka-Cola. „Nichts hat sich hier seit den Siebzigern verändert“, verkündet der 29-jährige Wiktor großspurig das wichtigste Versprechen der Rundfahrt und scheucht seine vier Gäste in die beiden engen, schwarz lackierten Trabis. Los geht's.

Kommunismus im Crashkurs

Erste Station: Fototermin vor der mächtigen Eingangspforte des Stahlwerks, danach flugs zum Hauptplatz, wo früher einmal Lenin stand. Nach der Wende wollte man den eisernen Kommunisten einschmelzen. Doch Lenin war aus minderem Material hergestellt. „Communism was a fake“, ulkt Wiktor – und die Tourteilnehmer lachen brav mit.

Das ist das sozialistische Polen, wie es auf der Kommunismustour präsentiert wird: Geschichten, eingängig wie Schlager und leicht konsumierbar wie Instantkaffee; flockiger Lifestyle statt trockener Politik, denn allzu ernste Stimmung soll nicht aufkommen. Mittagspause in der „Mlechny Bar“. Die „Milchbar“ ist eine Art Kantine, die wegen ihrer günstigen Preise nach wie vor bei Studenten und Pensionisten beliebt ist.

Wiktor bestellt Bigos, einen traditionellen Krauttopf, um einen Euro. Die Briten essen tapfer. Ein Drittel des Preises wird staatlich subventioniert, verrät der Touristenführer. Solche Überbleibsel des Kommunismus sind reichlich wunderlich für die vier Insulaner, die zwar die polnische Biermarke „Lech“ gut kennen, jedoch hier erstmals von Polens Nationalikone Lech Walesa hören.

Nach dem Essen geht es ins originalgetreue Apartment 12 im vierten Stock eines Blocks: Ein kurzer Blick auf die heute schäbig anmutenden Möbel, eine Geschichtsdoku wird gezeigt, dann mit Wodka angestoßen, stilecht auf Polnisch: „Na zdrowie“.

Doch lieber im Kapitalismus

Fragt man Kunst-Uni-Absolvent Wiktor nach seinen persönlichen Sozialismuserinnerungen, fällt ihm nicht besonders viel ein. Nur Bananen; die kamen mit der Wende. „Ich war sechs Jahre alt damals“, sagt er. Auch die anderen Guides der „Communism Tours“ sind ähnlich jung wie Wiktor. Zunächst waren die Bewohner Nowa Hutas skeptisch, als sie von den Touren hörten, erzählt er. Doch das Misstrauen schwand mit der Zahl der Touristen, die nach Nowa Huta kamen. „Jetzt sehen sie, dass wir Gäste herbringen. Das ist gut für alle.“

Gary hat sich auch nach vier Stunden nicht mit Nowa Huta anfreunden können: „Ich würde hier nicht leben wollen.“ Erleichterung steht den Touristen ins Gesicht geschrieben, als die Zeitreise in die grimmige Vergangenheit vorüber ist und die Trabis sie in der Krakauer Gegenwart am Einkaufszentrum beim Hauptbahnhof ausspucken. „Natürlich“ könne sie sich nun besser vorstellen, wie das damals so war, sagt Garys Frau Lorraine. Jetzt muss sie sich aber erst mal ein wenig erholen vom Kommunismus. Und shoppen gehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2009)

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