Kinderschutz: Gewalt gegen Mädchen steigt

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Mädchen sind stärker Demütigung und anderen Formen psychischer Gewalt ausgesetzt. Generell nahm häusliche Gewalt aber ab.

Wien. „Es hat sich in den vergangenen 20 Jahren viel getan. Und trotzdem sehen wir hier die größten Nöte. Dass Kinder Gewalt erfahren in Österreich ist leider an der Tagesordnung“, sagt Hedwig Wölfl, Leiterin des Kinderschutzzentrums Möwe und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Österreichischer Kinderschutzzentren. Letzterer lud gestern, Donnerstag, zu einem Hintergrundgespräch zum Thema Gewalt an Kindern ein. Wölfl zeigte sich dabei ebenso wie ihre Kolleginnen Martina Wolf und Barbara Neudecker zwar generell zufrieden mit dem Gesetz – auch im europäischen Vergleich. Es gäbe aber immer noch genügend Bereiche, in denen Kinder übersehen werden.

So leiden Kinder nicht nur darunter, wenn sie direkt (körperliche, psychische oder sexuelle) Gewalt erleben, sondern auch, wenn sie sie daheim miterleben. Zwar habe eine Umfrage gezeigt, dass 23 Prozent der von Gewalt betroffenen Mütter glauben, dass ihre Kinder davon nichts mitbekommen haben. „Kinder kriegen aber immer etwas mit, das stellt sich für viele oft erst im Nachhinein heraus“, sagt dazu Martina Wolf, die Geschäftsführerin des Verbands. „Jede Form der Zeugenschaft elterlicher Gewalt bedeutet für Kinder psychische Gewalt“, ergänzt Wölfl. Und: „Die miterlebte Gewalt traumatisiert häufig stärker und längerfristiger als erlebte Gewalt“, erklärt die Psychotherapeutin.

Hinzu komme ein Loyalitätskonflikt bei Kindern, der auch bei „hochstrittigen Scheidungen, bei denen es Eltern nicht schaffen, den Paarkonflikt auf Paarebene zu lösen“ der Fall sei. Wölfl spricht dabei von emotionaler Vernachlässigung und einem gesellschaftspolitisch hoch idealisierten Feld. „Das ist eine gesellschaftspolitische Ebene, auf der das Recht des Kindes auf Schutz, das Recht des Kindes auf den Kontakt zu beiden Eltern und auch das Recht der Eltern auf Kontakt mithineinspielen.“

Neue Formen der Gewalt

Generell habe die Gewalt in der Erziehung in den vergangenen 20 Jahren abgenommen, zieht Wölfl Resümee. Mit einer Ausnahme: Die psychische Gewalt an Mädchen steigt. Warum das so ist, kann Wölfl nicht erklären. Bei Mädchen komme es häufiger vor, dass sie bestimmten Formen der Demütigung ausgesetzt sind oder auch, dass mit ihnen bewusst nicht gesprochen wird, dass ihnen also jegliche Kommunikation verweigert wird. Generell haben sich auch die Formen der Gewalt gewandelt bzw. sind neue Formen im digitalen Bereich dazugekommen. Heute gibt es allerdings mehr Bewusstsein für Gewalt: „Früher wurde aus Überzeugung geschlagen, heute aus Überforderung.“

Die drei Expertinnen haben für die Zukunft noch einige Forderungen, um die Position des Kindes zu stärken. So fordern sie etwa, dass Kinder einen Anspruch auf Prozessbegleitung haben. Derzeit haben sie den nur, wenn sie selbst unmittelbar von Gewalt betroffen oder Angehörige einer Person sind, die bei einem Gewaltdelikt ums Leben gekommen ist. Das führe dann zu so makaberen Fällen, bei denen ein Kind keine Prozessbegleitung bekommt, weil es einen Mord an einem Elternteil verhindert hat. „Es gab unlängst einen Fall, in dem das Kind die Mutter davor bewahrt hat, vom Vater erstochen zu werden. Für das Gesetz ist dieses Kind aber nur Zeuge, kein Gewaltopfer. Es hat also keinen Anspruch auf Prozessbegleitung“, sagt Barbara Neudecker, Leiterin der Fachstelle Prozessbegleitung im Bundesverband.

Derzeit wird auch an einer Erneuerung des Mutter-Kind-Passes gearbeitet, bei der psychosoziale Faktoren berücksichtigt werden.

Österreichweit gibt es übrigens 29 Kinderschutzzentren, die im Jahr rund 12.000 von Gewalt betroffene Kinder betreuen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2017)

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